Blue Zones: Geheimnisse eines langen Lebens

Man stelle sich einen Ort vor, an dem Menschen sehr alt werden – und das glücklich. Einen Ort, an dem die Krankheiten der westlichen Welt eine Seltenheit sind. Vier solcher Plätze gibt es auf dieser Welt. Sie werden die Blue Zones oder Blauen Zonen genannt. Bleibt die spannende Frage: Was können wir von den Menschen lernen, die dort leben?

Frau steht im Meer
Es gibt nur sehr wenige Blue Zones auf der Welt. Foto: canva.com

Dan Buettner und die Blue Zones

Um das Geheimnis der vollkommen gesunden, glücklichen und sehr, sehr alten Menschen von Sardinien (Italien), Okinawa (Japan), Nicoya (Costa Rica) und Loma Linda (USA) zu ergründen, bereiste der Forscher Dan Buettner diese Orte. Wissenschaftler:innen nennen sie die Blauen Zonen – einfach deshalb, weil sie blaue Filzstifte benutzten, um diese Stellen auf einer Weltkarte zu markieren. Buettner fragte sich, ob es eine Gemeinsamkeit zwischen diesen Blue Zones gibt, die eine Erklärung dafür liefern könnte, dass die Menschen dort älter werden als überall anderswo. Und wenn dem so ist: Was können wir von ihnen lernen?

Blaue Zonen

Die Blauen Zonen sind jene Gebiete der Welt, in denen ein überdurchschnittlich großer Anteil der Einwohner:innen sehr alt wird. Vier solcher Gebiete gibt es:

  1. Die italienische Insel

    Sardinien

  2. Die japanische Inselgruppe

    Okinawa

  3. Die Religionsgemeinschaft

    in Loma Linda,

    Kalifornien

  4. Nicoya, eine Halbinsel

    in Costa Rica

Mehr Informationen, Tests und Tipps im Internet unter www.bluezones.com.

Vom Glück des einfachen Lebens in den Blue Zones

Auf der italienischen Insel Sardinien sprach Dan Buettner mit dem 103 Jahre alten Schäfer Giovanni Sannai. Um halb zehn Uhr morgens waren sie verabredet – und ein großes Glas Wein stand schon für Buettner bereit. Sannai sah keinen Tag älter aus als 80. Seinen Tagesablauf beschrieb er so: Er steht früh auf, trinkt ein Glas Ziegenmilch zum Frühstück, geht mindestens acht Kilometer am Tag und verbringt die ganze Zeit im Freien mit seinen Schafen. Das Interview dauerte zwei Stunden, und immer wieder kamen Leute vorbei und wünschten dem Alten einen guten Tag. Jedem schenkte der Schäfer ein Lächeln und ein Glas Wein. Als Buettner ihn fragte, ob er jemals Stress empfunden habe, wusste er erst einmal gar nicht, was dieser meinte. Erst nachdem der Forscher die Frage noch einmal anders formuliert hatte, antwortete Sannai: „Manchmal. Aber im Haus war meine Frau der Boss, und auf der Weide war ich es. Und worum muss man sich schon groß sorgen auf der Weide? Ich habe immer versucht, die guten Dinge im Leben zu genießen.“ Wein, Bewegung, frische Luft, Vergnügen und keinen Stress: das Geheimnis der Hundertjährigen von Sardinien. Würde Buettner diese Attribute auch in Okinawa finden, einer kleinen Inselgruppe im Pazifik? Das Durchschnittsalter im „Land der Unsterblichen“, wie die Chinesen Okinawa nennen, ist das höchste der Welt: Frauen werden im Schnitt 86, Männer 80 Jahre alt. Auf 100 000 Einwohner kommen 44 Menschen über 100. Das Klima ist sehr mild, aber das Leben ist hart und reich an Entbehrungen, weil fast nichts auf dem felsigen Boden gedeihen will. Über Jahrhunderte gelang das Überleben nur dank Imo, einer Süßkartoffel, die reich an Proteinen ist. Buettner fragte die 102-jährige Kamada Nakazato, ob diese Süßkartoffel der Grund dafür sei, dass die Leute in Okinawa so alt würden. Sie rümpfte nur die Nase: „50 Jahre lang habe ich Imo zum Frühstück, zu Mittag und zu Abend gegessen. Danach hatte ich wirklich genug davon.“ Und was hat sie dann gegessen? Um sechs Uhr morgens beginnt Kamada den Tag mit einer Kanne Jasmintee und einer Schüssel Miso-Suppe mit Gemüse. Das Mittagessen besteht aus Reis mit Beifuß oder Suppe mit Kurkuma sowie einer Portion frittiertem Gemüse oder vielleicht ein bisschen Tofu, Fleisch oder Fisch. Und den ganzen Tag trinkt Kamada grünen Tee.

Bucht in Sardinien
Sardinien ist eine der Blue Zones. Foto: canva.com

Mehr Geheimnisse der Blue Zones

Vom Pazifischen Ozean aus reiste Dan Buettner zu seinem nächsten Ziel: Loma Linda. Die Gemeinde liegt nur einen Steinwurf entfernt von Los Angeles. Vielleicht der letzte Platz, an dem man gesunde Hundertjährige vermuten würde. Hier leben etwa 9000 Siebenten-Tags-Adventist:innen. Die Mitglieder dieser Religionsgemeinschaft belegen die vorderen Plätze, was die Lebenserwartung in Amerika anbetrifft. Die Adventist:innen halten den Sabbat ein, vom Sonnenuntergang am Freitag bis zum Sonnenuntergang am Samstag. Sie verbringen diesen Tag mit der Familie, gehen spazieren, zur Kirche und sprechen miteinander über ihren Glauben. Der Friede des Sabbats ist wie eine Insel in der Zeit: eine Gelegenheit, auszuruhen, um Familienbande zu stärken und Energien zu erneuern. Dazu predigt die Kirche einen gesunden Lebensstil mit viel Bewegung. Ihre Anhänger:innen essen meist Gemüse, Obst und Nüsse. Und bieten damit wohl den größten Kontrast zum Leben auf der Nicoya-Halbinsel in Costa Rica, der letzten Blauen Zone. Einer der Hundertjährigen, die Buettner dort traf, ist Don Faustino, ein 101 Jahre alter Maultierkutscher. Schinken und Schweineschmalz sind Hauptbestandteile seiner täglichen Ernährung. „Du solltest jeden Tag früh aufstehen mit einem ,plan de vida‘, einem klaren Ziel“, ist das Credo auf Nicoya. Buettner erinnerte sich, dass die Alten auf Okinawa genau dasselbe gesagt hatten: Sie nennen es Ikigai. Vielleicht ist das einer der Schlüssel zu einem langen Leben.

8 Weisheiten für ein langes, erfülltes Leben

Nach seinen Besuchen hat Büttner ein Programm basierend auf dem Lebensstil der Hundertjährigen aus den Blue Zones zusammengestellt. Acht Weisheiten, die unsere Chancen erhöhen, ein langes Leben in guter Gesundheit zu genießen.

„Zu unserer Natur gehört die Bewegung.“
Blaise Pascal

Hundertjährige in den Blauen Zonen bewegen sich regelmäßig.

  • Mache dir das Leben nur ein bisschen ungemütlicher: Nimm

    die Treppe statt des Lifts, schaffe die Fernbedienung ab, fahre

    so oft wir möglich mit dem Rad statt mit dem Auto.

  • Hab Spaß an der Bewegung: Gehe nicht ins Fitnessstudio,

    wenn

    du es nicht magst, denn dann bleibst du ohnehin nicht dabei.

    Gestalte stattdessen deinen Alltag aktiver. Gehe während der

    Mittagspause oder nach dem Abendessen spazieren.

  • Werde aktiv im Garten: Graben, tragen, jäten – Gärtnern erfordert

    ganz viele verschiedene körperliche Aktivitäten. Es bekämpft

    den Stress. Und nichts ist gesünder als frisches, selbst

    gezogenes Gemüse. Du hast keinen eigenen Garten? Miete

    dir doch einfach einen Schrebergarten.

„Wir leben nicht, um zu essen; wir essen, um zu leben.“
Sokrates

Ein weiteres wichtiges Thema in den Blue Zones ist Ernährung. Die Hochbetagten in den Blauen Zonen essen sehr wenig Fleisch. Sie nehmen mindestens zwei Sorten Gemüse mit jeder Mahlzeit zu sich und zwischen den Mahlzeiten viel Obst. Die Alten von Okinawa murmeln kurz vor dem Abendessen den Satz: „Hara hachibu.“ Das ist ein Zitat von Konfuzius und bedeutet: „Iss, bis Du zu 80 Prozent voll bist.“ Wissenschaftler:innen haben jetzt nachgewiesen, dass eine leichte Unterversorgung mit Kalorien unter anderem die natürlichen Selbstheilungskräfte des Körpers unterstützt, der Alterungsprozess wird hinausgezögert.

  • Verzehre Fleisch nicht öfter als zweimal in der Woche. Ein

    Fleischstück sollte nicht größer als ein Spielkartenstapel sein.

  • Lasse dir Zeit bei der Zubereitung, und richte das Essen liebevoll

    in kleinen Portionsschälchen auf einem Tablett an. So

    schenkst du jedem einzelnen Bissen deine Aufmerksamkeit.

„Das größte Glück liegt in den kleinen Dingen.“
Wilhelm Busch

Rituale halten das Leben zusammen, schenken uns Selbstsicherheit und Glück. Auch die Menschen in den Blue Zones wissen, dass festen Gewohnheiten eine enorme Kraft innewohnt. Die Hundertjährigen von Okinawa trinken jeden Abend ein Glas Sake mit Freunden und Familie. Und auf Sardinien wäre ein Besuch von Freunden undenkbar ohne ein Glas Rotwein.

  • Lege jeden Tag eine „Happy Hour“ ein. Nimm dir Zeit, um die Gesellschaft

    von anderen mit einem Glas guten Weins zu feiern. Da

    wäre zum Beispiel der dunkelrote Cannonau, der in der sardinischen

    Blauen Zone reichlich fließt.

  • „Rituale wollen uns mitten in den Anforderungen des Lebens

    Freiraum gewähren, in dem wir aufatmen können“, sagt der Benediktiner-

    Mönch Anselm Grün. Mediziner:innen bestätigen: Es gibt

    keine bessere Ruhequelle als das Pflegen von Ritualen – regelmäßiger

    Sport, ein täglicher Spaziergang durch die Natur, Meditation.

    Studien zeigen: Entspannend wirken diese Rituale erst dann,

    wenn sie mehrmals am Tag (Hund ausführen) oder in der Woche

    (laufen, schwimmen, Tennis spielen) gepflegt werden, immer zur

    gleichen Zeit, am selben Ort.

„Man muss es so einrichten, dass einem das Ziel entgegenkommt.“
Theodor Fontane

Ob ein Beruf, ein Hobby, die Sorge für jemand anderen oder die Liebe zu den Kindern: Hat man ein Ziel im Leben, reduziert sich der Stress, der Verstand bleibt geschärft, und sogar die Symptome von Alzheimer scheinen sich langsamer zu verschlechtern. Es ist wichtig, einen Grund zu haben, um morgens aufzustehen. Die alten Leute in den Blauen Zonen sind nach wie vor aktiv in das soziale Leben ihrer Gemeinschaft eingebunden.

  • Formuliere deine ureigene Mission. Wofür brennst du? Was bringt dich morgens aus dem Bett? Definiere, was dir wirklich wichtig ist.

  • Schärfe deinen Verstand, indem du etwas ganz Neues lernen:

    eine Sprache oder ein Musikinstrument.

Person meditiert am See
In den Blue Zones sind die Menschen gelassen und genießen den Moment. Foto: canva.com
„Die Kunst des Ausruhens ist ein Teil der Kunst des Arbeitens.“
John Steinbeck

Menschen, die es in die Hunderter schaffen, strahlen häufig Gelassenheit aus. Sie haben gelernt, dass die schönsten Momente verloren sind, wenn man sie blind an sich vorüber ziehen lässt. Lebe wie der sardinische Schäfer, der jeden Tag eine Pause macht, nur um den Blick auf ein und dasselbe Tal zu genießen, in dem er seine Herde nun schon seit 80 Jahren grasen lässt. Eine der wichtigsten Lektionen aus den Blue Zones: Nimm dir selbst die Zeit zum Genießen, zum Ausruhen.

  • Verbringe möglichst wenig Zeit vor dem Fernseher, dem Radio

    oder im Internet. Die verursachen zu viel Hektik und lenken

    vom wirklichen Leben ab.

  • Meditation bringt Frieden. Richte dir in deinem Zuhause einen

    ruhigen Rückzugsort ein, und meditiere dort jeden Tag –

    ob allein oder gemeinsam mit anderen.

„In einer friedlichen Familie kommt das Glück von selbst.“
Chinesisches Sprichwort

Familienbande sind stark und wichtig in den Blue Zones. Es gibt ein Dorf in Costa Rica, in dem alle 99 Bewohner:innen von ein und demselben 85 Jahre alten Mann abstammen. Sie essen regelmäßig miteinander und besuchen den Patriarchen jeden Tag. Sie helfen ihm oder spielen ein paar Runden Karten oder Domino mit ihm. Der alte Herr schlägt sie übrigens fast immer. Sich um die Familie zu kümmern, ist selbstverständlich für die Hundertjährigen: Sie umhegten einst ihre Kinder, nun erhalten sie ihrerseits diese Liebe von ihren Kindern und Enkelkindern zurück.

  • Unternehmt etwas gemeinsam als Familie. Bestehe wenigstens

    einmal am Tag auf einem gemeinsamen Essen, nimm dir

    Zeit für Gespräche. Wie wäre es mit einem gemeinsamen Urlaub?

    Schaffe ein Gefühl der Zusammengehörigkeit.

  • Errichte einen Familienaltar. Eine Wand oder ein Tisch, auf dem

    Fotos und andere Erinnerungsstücke von verstorbenen Lieben

    einen Platz bekommen. Oder von jenen Verwandten, die

    du nicht so häufig siehst.

„Glaube ist ein sechster Sinn, der wirksam wird, wenn die Vernunft versagt.“
Mahatma Gandhi

Alle Hundertjährigen in den Blauen Zonen sind Mitglieder einer Glaubensgemeinschaft. Es scheint, dass jene, die auf ihre spirituelle Seite achten, häufig große Chancen auf ein paar Extra-Lebensjahre haben. Welcher Religion man angehört, spielt dabei keine Rolle. Menschen, die glauben, haben häufig ein größeres Selbstwertgefühl und beziehen Stärke aus der Religion.

  • Wenn du bereits Teil einer Religionsgemeinschaft bist, werde

    aktiv: Singe im Chor, engagiere dich ehrenamtlich.

  • Du bist nicht religiös, dann schaue dich doch einfach einmal

    um. Mache ein Ziel daraus (siehe Weisheit 4): Gehe zu einer religiösen

    oder spirituellen Versammlung, und zwar zwei Monate

    lang einmal pro Woche. Vielleicht gibt es ja eine Gemeinde oder

    eine Bewegung, die dir gefällt. Und wenn nicht, wirst du in der

    Zeit viel über dich selbst und andere Menschen lernen.

„Ein Freund ist ein Geschenk, das man sich selbst macht.“
Robert Louis Stevenson

Die Bewohner:innen der Blue Zones leben in etwas isolierten Gemeinschaften. Das liegt entweder an den geografischen Umständen oder an dem religiösen Leben, das sie führen, wie etwa die Siebenten-Tags-Adventisten. Das Ergebnis ist ein großer sozialer Zusammenhalt: Die Menschen unterstützen einander wenn nötig. Studien zeigten: Menschen mit vielen sozialen Kontakten leben zwei oder drei Jahre länger als jene, die nur wenige Bekanntschaften haben.

  • Überprüfe deine Freundschaften, und finden heraus, welche

    wirklich gut für dich sind. Umgeben dich nicht mit Menschen,

    die dich zu schädlichem Verhalten ermutigen. Wähle

    stattdessen Freund:innen, die deinen Lebensstil teilen und dich

    unterstützen.

  • Investiere in Freundschaften. Treffen dich regelmäßig, plane

    Zeit ein für gemeinsame Aktivitäten.

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