Achtsamkeit in der Erziehung: So wird dein Familienalltag entspannt und harmonisch

Es ist immer das Gleiche, du bist gestresst von der Arbeit, genervt und die Kinder machen auch nicht das, was sie gerade sollen. Da passiert es schnell, dass du lauter wirst, dein Kind anmeckerst und dich hinterher fragst: „Warum konnte ich nicht einfach ruhig bleiben?“ Mit ein paar einfachen Achtsamkeitstipps wird auch dein Familienalltag ganz schnell so entspannt wie du ihn dir wünscht.

Achtsamkeit in der Erziehung: So wird dein Familienalltag entspannt und harmonisch
Eine achtsame Erziehung kann dein Kind für sein ganzes Leben stärken. Foto: canva.com

Was bedeutet Achtsamkeit in der Erziehung?

Eine achtsame Erziehung basiert auf der grundlegenden Offenheit und Wertschätzung gegenüber der emotionalen Einzigartigkeit von Kindern. Es geht nicht darum, Kinder zu bewerten und durch strenge, starre Regeln in Form zu bringen, sondern darum, sie in ihrer Individualität zu erleben und sich zu bemühen, ihnen durch Wissensvermittlung und Praxis, starke emotionale Wurzeln für ihr weiteres Leben mitzugeben. Eine achtsame Erziehung geht immer einher mit der Selbstreflektion der Eltern und deren eigener Achtsamkeit.

Dirk Gemein ist Achtsamkeitscoach und Glückslehrer, unter anderem auch für Kinder. Er lebt mit seiner Familie im Ahrtal und unterhält in Koblenz er ein eigenes Achtsamkeits- und Meditationscenter: „Die beste Möglichkeit, Kindern Wissen und Praktiken der Achtsamkeit zu vermitteln, ist es, diese spielerisch in den Alltag einzubauen. Das gelingt natürlich nur, wenn auch die Eltern achtsam mit sich selbst umgehen. Wir können unseren Kindern immer nur das vermitteln, was wir ihnen selbst vorleben. Nehme ich meinen Partner nicht ernst, oder mache ich mich selbst immer klein, sind das die Werte, die wir ungewollt auch an unsere Kinder weitergeben.“

Dein Kind besser verstehen

Mache dir immer bewusst, dass jede Gemütsregung deines Kindes, ob nun Freude, Wut, oder Tränen immer einen Grund hat – auch, wenn du ihn vielleicht nicht auf den ersten Blick erkennst. Kinder können die Welt nicht aus den Augen eines Erwachsene sehen, sie verfügen noch nicht über die entsprechenden Erfahrungen und Reaktionsmöglichkeiten wie die Eltern.

Dirk Gemein: „Wenn wir z.B. im Supermarkt unser Kind plötzlich schreiend auf dem Boden sitzen sehen, agieren wir meist mit dem Blick eines Erwachsenen. Wir reagieren dann mit Sätzen wie, ‚Stell dich nicht so an! Es ist doch nichts passiert!‘ Wir sollten uns stattdessen bewusst machen, dass alles immer eine Ursache und eine Wirkung hat. Kinder verhalten sich nie grundlos, niemand tut das, auch wir Eltern nicht.“

Die Emotion deines Kindes ist immer echt. Es leidet und braucht dich jetzt. Gehe ruhig und liebevoll mit ihm und seinem Kummer um. Du könntest es z.B. fragen, ob ihm etwas weh tut, was passiert ist, wie du ihm helfen kannst. Höre ihm zu und nimm seine Gemütsregung ernst, dann wird es sich auch schnell wieder beruhigen.

Die Achtsamkeit ist schon über 2000 Jahre alt

Die Achtsamkeitslehre hat ihren Ursprung im Hinduismus und im Buddhismus und ist schon seit über 2000 Jahren bekannt. Es geht darum, die eigene Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Moment zu richten und die Gedanken nicht schweifen zu lassen. Der Moment wird einfach nur erfahren, ohne ihn zu werten oder zu beurteilen. Dies soll zu mehr Gelassenheit und Ruhe im Leben führen. In der westlichen Welt wurde das Konzept der Achtsamkeit vor allem durch den amerikanischen Uni-Professor Jon Kabat-Zinn und dem vom ihm entwickelten MBSR-Programm (Mindfulness-Based Stress Reduction) bekannt.

Was mache ich, wenn mein Kind einen Wutanfall hat und ich hilflos daneben stehe?

Kinder müssen erst lernen mit ihrer Emotion und deren Regulierung umzugehen. Diese Fähigkeit hat sich auch bei uns erst mit zunehmendem Alter ausgebildet. Daher ist der Umgang je nach Alter unterschiedlich, für ein Kleinkind reicht es, einfach nur da zu sein und ihm zu zeigen, dass du es verstehst.

Setze dich auf Augenhöhe, oder nimm dein Kind auf den Schoß, wichtig ist, dass du nicht von oben herab mit ihm sprichst. Mimik ist für Kleinkinder sehr wichtig, da sie ein neutral-emotionsloses Gesicht als Bedrohung wahrnehmen. Schaue verständnisvoll und wiederhole in freundlichem Ton einen Satz, um dein Kind erst einmal zu beruhigen. Z.B. „Ich bin hier, alles ist gut“, oder etwas, bei dem du die Erfahrung gemacht hast, dass dein Kind darauf mit Entspannung reagiert.

Hat es sich beruhigt und kann schon sprechen und seine Empfindungen kommunizieren, kannst du es jetzt fragen, was los war. War es vielleicht wütend über irgend etwas, aber eigentlich hatte es nur Hunger? Oft stecken ganz andere Gründe hinter dem vermeintlich unerklärlichen Wutausbruch, als wir vermuten würden.

Ist dein Kind schon älter, kannst du es ruhig und verständnisvoll fragen, was es gerade so wütend macht und ihr könnt zusammen eine Lösung überlegen, wie es mit seinen Emotionen besser umgehen lernt.

Der Experte: „Wenn Kinder gerade hochemotional sind, ist es fast unmöglich sie mit guten Tipps, Drohungen oder Belehrungen zu erreichen. Sie kämpfen dann selbst stark mit ihrer eigenen Emotion und dem aktuellen Spannungsverhältnis. Sie sind für uns dann nicht erreichbar. Das beste ist, Ruhe zu bewahren und uns für solche Situationen ein festes Ritual zu überlegen.“

Dich selbst in Achtsamkeit üben

Hierbei ist es hilfreich, wenn du dich vorher mit deinen eigenen Emotionen auseinandergesetzt hast. Wir behandeln unsere Kinder immer so, wie es gerade in uns selbst aussieht. Reagierst du also nur noch genervt auf alles, was dein Kind macht, liegt es nicht an deinem Kind, sondern daran, wie du dich fühlst. Mache dir bewusst, was gerade in dir vorgeht. Was nervt dich wirklich? Ein Kollege? Der Wäscheberg? Zu wenig Zeit für dich? Wenn du das herausgefunden hast, kannst du diese Dinge angehen und wirst wieder entspannter deinem Kind gegenüber.

 Dirk Gemein: „Wir sollten uns immer unsere Grundlege Absicht im Leben bewusst machen – Leid für mich und alle anderen im gegenwärtigen Moment zu vermeiden.“

Ohne eine Art Achtsamkeitstraining schafft das niemand. Es wird schwer, ein Verhalten zu ändern, wenn man es sich nur vornimmt, ohne es tatsächlich auch zu üben. Je öfter du dir angewöhnst, achtsam zu Handeln, zu Sprechen und Zuzuhören, desto eher kannst du diese Fähigkeiten auch in einer Krisensituation gewohnheitsmäßig abrufen und anwenden.

SOS-Tipps, wenn du merkst, dass du gleich laut wirst

Die 3-A-Regel

  1. Anhalten: stoppe deine Reaktion, oder Handlung.

  2. Atmen: Lege deine Hände auf die Brust und atme mindestens fünf Mal tief ein und aus.

  3. Achtsamkeit praktizieren: Verlasse die Situation für einen Moment, um selbst ruhiger zu werden und mache dir deine eigene Wut bewusst. Bist du entspannter, begebe dich anschließend auf Augenhöhe mit deinem Kind und spreche es dann erst in einem freundlichen, ruhigen Tonfall an.

Der Einwechselspieler

Ist z.B. der Partner oder eine andere Bezugsperson vor Ort, dann kannst du diese bitten, die Situation für dich zu übernehmen, bis sich deine aufgebrachte Emotion wieder beruhigt hat und du dich in der Lage fühlst, ruhig auf dein Kind zu reagieren.

Vier Achtsamkeitsübungen für die ganze Familie

1. Spazieren gehen

Mit sich selbst achtsamer umzugehen führt auch zu einer achtsameren Erziehung. Nimm dir z.B. Zeit für einen Spaziergang mit deinem Kind, schaut euch gemeinsam genau an, was es so am Wegesrand zu entdecken gibt. Das geht schon mit Kleinkindern, die neugierig alles erkunden. Welche Farbe hat die Blume, wie groß ist der Baum, was macht der Hund da auf der Wiese gerade? Solch ein Anhalten entspannt nicht nur den Geist deines Kindes, sondern sorgt auch bei dir für innere Ruhe und stärkt, durch die gemeinsam in Entspannung verbrachte Zeit, eure Bindung.

 Dirk Gemein: „Die besten Mittel, um einen achtsamen Alltag mit der Familie zu gestalten, sind viel Gelassenheit und ganz viel Humor. Kinder sind wild, laut, chaotisch, albern und für uns oft anstrengend. Und das sollen sie auch sein. Wenn wir unseren Fokus auf die Einzigartigkeit unserer Kinder lenken, können wir das Wilde und Emotionale in ihnen lieben und schätzen lernen, anstatt genervt oder gestresst zu reagieren.“

2. Achtsames Familienessen

Eine gute Möglichkeit für mehr Achtsamkeit in der Erziehung ist es, dein Kind spielerisch in alltägliche Dinge wie Kochen, Aufräumen, oder Essen einzubinden. Beim Essen könntest du z.B. eine kleine Glocke auf den Tisch stellen, sitzen alle am Tisch, läutet ein Kind die Glocke und ab jetzt konzentriert sich jeder schweigend mit allen Sinnen auf seine Mahlzeit. Wie schmeckt es, was genau esse ich gerade, wie fühlen sich meine Kaubewegungen an? Das Kind, das die Glocke geläutet hat, kann selbst entscheiden, wann es sie erneut benutzt. Jetzt wird wieder gesprochen und sich über das Erfahrene ausgetauscht.

3. Gemeinsames Atmen

Hast Du das Gefühl, dein Kind ist gerade sehr gestresst, z.B. wenn es von der Schule oder dem Kindergarten nach Hause kommt, versuche es doch mal mit der „Insel der Stille“: Setzt oder legt euch zusammen entspannt irgendwo hin, lege die Hand auf den Bauch deines Kindes und lasse es einfach nur seinen Atem spüren. Durch die Hand auf dem Bauch, kann das Kind seine Atembewegungen sehen und so besser verfolgen. Ist dein Kind schon älter, kannst du jetzt kleine Entspannungsfragen stellen, die ihr zusammen, oder jeder für sich beantworten könnt.

  • „Wie fühlt sich mein Körper gerade an?“

  • „Welche Gedanken gehen mir gerade durch den Kopf?“

  • „Was war besonders schön heute?“

4. Feddbackgespräche führen

Auch ein regelmäßiges Feedbackgespräch zwischen dir und deinem Kind hilft euch in einem achtsamen Umgang miteinander. Diese Übung geht besonders gut, wenn dein Kind schon etwas älter ist. Dirk Gemein: „Ich selbst führe solche Gespräche mit meinen Kindern, bei denen ich sie frage, wo ich als Papa noch zu entwickelndes Potenzial habe. Die Antwort ist meist, dass ich zu viel arbeite, oder zu viel am Handy hänge. Meine Kinder stellen mir dann die selbe Frage. So können wir uns ehrlich und entspannt austauschen und es kommt nicht zu aufgestauter, negativer Energie, die sich irgendwann plötzlich entlädt.“

 

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