Bedürfnisorientierte Erziehung: So bleibst du in Kontakt mit deinem Kind
Für viele Menschen ist es das Schönste, mit ihrem geliebten Partner oder ihrer Partnerin eine Familie zu gründen. Ein neues Leben in diese Welt zu bringen und die lebenslange Verantwortung für ein Kind zu tragen, bringt aber auch viele Herausforderungen mit sich. Wie erziehe ich mein Kind richtig, damit es zu einem starken, selbstständigen, guten Menschen heranwächst? Diese Frage versucht das Konzept namens "bedürfnisorientierte Erziehung" oder auch "Attachment Parenting" zu beantworten. Wie es dir hilft in enge und immerwährende Verbindung mit deinem Baby zu treten, erklären wir dir hier.
Woher stammt die bedürfnisorientierte Erziehung?
Das Konzept rundum die bedürfnisorientierte Erziehung entstand während der Nachkriegszeit in den 70ern und 80ern in den USA. Psychologen und Kinderärzte wie William Sears beschäftigten sich intensiv mit der Entwicklung von Babys und Kindern und, wie Eltern diese bestmöglich unterstützen können. Der Begriff des Attachment Parenting, was mit "bindungsorientierte Elternschaft" übersetzt werden kann, wurde geboren. Denn für die Verfechter dieser Erziehungsmethode steht eine liebevolle, starke Bindung zwischen Eltern und Kind im Mittelpunkt und gilt als unabdingbarer Grundpfeiler für das Großziehen und Erziehen.
Was bedeutet bedürfnisorientierte Erziehung?
Wie es der Name bereits vermuten lässt, basiert die Methode auf dem klaren Ziel, Bedürfnisse zu erkennen, zu verstehen und sie zu erfüllen. Die damaligen Urheber bezogen sich dabei vor allem auf die Mutter-Kind-Bindung, die durch viel Körperkontakt, Stillen und Schlafbegleitung unterstützt werden sollten. Sie empfahlen also etwa das Tragen in einem Tragetuch oder das Etablieren eines Familienbettes. Alte Erziehungsratgeber, die zum Beispiel erklären, man solle beim "Schlaf-Training" ein Baby schreien lassen, bis es von selbst einschläft, werden von der bedürfnisorientierten Erziehung abgelehnt. Denn besonders das Schreien aber auch anderer Ausdruck von Emotionen wird als wichtiges Kommunikationsmittel angesehen, mit dem Babys und Kleinkinder ihre Bedürfnisse mitteilen. Wird es in diesen Momenten gehört und bekommt Unterstützung, kann das Kind ein Urvertrauen zu den Eltern aber auch zu sich selbst aufbauen, wird glücklicher, zufriedener und ausgeglichener.
Praktische Erziehungstipps aus dem Attachment Parenting
Soweit das Grundverständnis von bedürfnis- und bindungsorientierter Erziehung. Sie zu verfolgen, bedeutet nun aber keinesfalls, das Leben komplett nach dem Kind auszurichten, ihm jeden Wunsch von den Lippen abzulesen und ihm alles durchgehen zu lassen. Frustration zu erleben und eine Frustrationstoleranz zu entwickeln, Grenzen gesetzt zu bekommen und zu akzeptieren, gehören zum Heranwachsen genauso dazu. Nur der Umgang damit ist entscheidend. Denn essentiell für diese Erziehungsmethode ist, dass den Bedürfnissen aller Familienmitglieder Beachtung geschenkt und Rechnung getragen wird. Natürlich verändern und erweitern sich die Bedürfnisse im Laufe der Zeit. Dennoch können dir folgende Erkenntnisse und Fragen in den meisten Situationen helfen:
Mein Kind möchte mich nicht verärgern oder provozieren (etwa durch Schreien), es hat ein Bedürfnis. Was könnte es brauchen?
Erkenne das Bedürfnis deines Kindes ( z.B. Nahrung, Schlaf, Nähe, Aufmerksamkeit, Trost, mehr Zeit, selbstständiges Entdecken) und erfülle es beziehungsweise hilf ihm, wenn es größer ist, es selbst zu erfüllen.
Vergiss deine eigenen und die Bedürfnisse der restlichen Familie nicht, um eine liebevolle, ausgeglichene Atmosphäre zu schaffen, in der sich alle wohl- und wertgeschätzt fühlen.
Bedürfnisorientierte Erziehung beginnt in der Schwangerschaft
Wer sich für deine bedürfnisorientierte Erziehungsweise entscheidet, kann damit bereits während der Schwangerschaft starten. Erkenne, was dein Körper und auch dein Geist Großartiges leisten, was sie jetzt brauchen und was ihnen guttut. Kümmerst du dich um dich selbst, kümmerst du dich nun nämlich auch um dein Baby und es kann bereits anfangen, sich sicher zu fühlen und Vertrauen aufzubauen. Beziehe auch den Rest der Familie, Partner, Freunde oder, wer auch immer am Leben und der Erziehung des Kindes teilhaben wird, mit ein. Nutzt die Zeit, um zu überlegen und zu besprechen, wie ihr vorgehen wollt, um den Start ins Leben so angenehm wie möglich zu gestalten. Natürlich kann sich euer "Plan" jederzeit ändern, je nachdem welche unerwarteten Herausforderungen auf euch zu kommen. Dennoch wird es euch selbst Sicherheit geben, Ängste lindern und die Vorfreude steigern.
Babys bedürfnisorientiert behandeln
Zu Beginn haben Menschen nur wenige Grundbedürfnisse wie etwa Nahrung, Schlaf und Geborgenheit. Sicherlich braucht es Zeit, dein Baby kennenzulernen. Beobachtest du es viel, wirst du aber Anzeichen schon bald erkennen und zwar im besten Fall sogar bevor es durch Weinen und Schreien kommuniziert. Zeigt es etwa durch Gähnen, dass es müde ist, oder nuckelt es an Dingen oder Händen, weil es Hunger hat? Nimm den eigenen Lebensrhythmus des Babys wahr und versuche den Alltag daran anzupassen, um ihm mehr Sicherheit zu schenken. Dazu gehört auch, viele Momente zum Kuscheln, Kommunizieren und anderen Körperkontakt (z.B. Baden, Massagen, Spielen) zu finden. Zeig ihm, dass du da bist und dich kümmerst.
Vom Kleinkind zum Teenager: Immer an deiner Seite
Je größer unsere Kinder werden, desto mehr Bedürfnisse haben sie und desto mehr Wege finden sie, diese auszudrücken. Auch überschwängliche, emotionale Reaktionen wie Wutanfälle, Trotzreaktionen oder Fehlverhalten (z.B. etwas kaputt machen), die für Erwachsene oft sehr übertrieben wirken, gehören dazu. Die bedürfnisorientierte Erziehung sieht nun vor, auch in scheinbar willkürlichen Handlungen ein Bedürfnis zu erkennen. Statt also in laute Schimpferei zu verfallen (natürlich sind notwendige Strenge oder Konsequenzen je nach Situation erlaubt) oder ein Verhalten zu relativieren durch Sätze wie "Ist doch nichts passiert": Versuche, dem Kind zu einer Lösung zu verhelfen und wieder Ausgeglichenheit zu finden. Quatsch machen, kann etwa bedeuten, dass es einfach nur Aufmerksamkeit möchte. Ist es gerade mit nichts zufrieden und möchte es vielleicht einfach lieber etwas Ruhe? Oder will es nicht schlafen, weil es vor etwas Angst hat oder Trost braucht? Schau hin, hör zu, frage nach und biete Hilfe und andere Optionen an, denn als Team könnt ihr alles meistern.
Kindererziehung ist intuitiv und individuell
Trotz all der theoretischen Überlegungen und Anwendungstipps gilt es auch bei der bedürfnisorientierten Erziehung zu beachten, dass jedes Kind, jeder Mensch, jede Familien und Situation unterschiedlich ist. Daher gibt es keinen allgemeinen Fahrplan, Check-Listen oder Regelwerke dafür, eine Bindung aufzubauen, Kinder zu erziehen und gemeinsam zu leben. Nicht jedes Baby möchte im Familienbett liegen, nicht jedes Kind drückt sich durch Weinen aus... Manche Kinder haben von Anfang an Schlafprobleme, gesundheitliche Herausforderungen oder kommen nie zur Ruhe ("Schreibabys"). Sie haben daher ganz andere oder viel mehr Bedürfnisse, die nur durch neue, aufwändigere oder unkonventionelle Methoden zu stillen sind. Außerdem sind wir alle Menschen und keine Maschinen, uns passieren Fehler und wir verhalten uns auch mal falsch. Das ist ganz normal und kein Versagen, solange wir daraus lernen.
Nimm Erziehungstipps- und -ideen also gerne an, aber schaue immer auf dich, dein Kind, deine Situation. Eure Verbindung, Intuition und Kommunikation werden euch auf eurem Weg leiten.