Matrilineare Abstammung: So heilst du die Frauenlinie deiner Vorfahrinnen

Frauen, die vor dir kamen: Deine Mutter, Großmutter, Urgroßmutter – das ist deine weibliche oder auch matrilineare Abstammung. Die Verbindung zu deiner Frauenlinie schenkt dir große Stärke: All ihre guten Eigenschaften sind in dir. Aber eine solche Abstammungslinie kann auch belastet sein. Hier erfährst du, wie du die generationsübergreifenden Wunden heilen kannst.

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Die matrilineare Abstammung bezieht sich nur auf unsere direkten weiblichen Vorfahrinnen. Foto: canva.com

Die Mutterlinie

Stelle dir eine lange Reihe von Frauen vor, die hinter dir stehen. Direkt hinter dir steht deine Mutter, hinter ihr deine Großmutter, hinter ihr wiederum ihre Mutter. Alle deine Vormütter stehen also in einer Reihe hinter dir. Dabei spricht man auch von matrilinearer Abstammung, Matrilinearität, Mutterlinie, Frauenlinie oder Mutterstamm. Gemeinsam haben sie dafür gesorgt, dass du geboren werden konntest. Die Eizelle, aus der du entstanden bist, war schon in deiner Mutter, als sie noch im Körper deiner Großmutter war. Ihre Talente und Qualitäten stecken in dir, auch ihr Feuer und ihre Beharrlichkeit. Ihr Leben ist in dir.

Herausforderungen der matrilinearen Abstammung

In vielen Kulturen sind deine Vorfahr:innen auch deine Schutzengel, die auf dich aufpassen und auf dich warten, wenn du stirbst. Sie machen dich stark. Du bist kein isoliertes Individuum, sondern ein kleiner Teil einer langen Reihe von Menschen. Neben den oben erwähnten Qualitäten, die sie dir mitgegeben haben, gibt auch eine Kehrseite. Du hast nicht nur die Stärke geerbt, sondern sehr wahrscheinlich auch die Traumata, Ängste und Schmerzen der Frauen, die vor dir kamen. Die meisten unserer Mütter, und sicherlich auch unsere Großmütter und Urgroßmütter, hatten es nicht gerade leicht im Leben. Schon gar nicht in Zeiten, in denen Frauen kaum Rechte hatten. In den Generationen vor uns gab es viele Kriegstraumata, Armut, Missbrauch oder Gewalt. Auch die Kirche und ihre strengen Ansichten hat das Leben der Frauen geprägt. "Wir sind die Urgroßtöchter der Hexen, die man nicht verbrennen konnte", lautet ein berühmtes Zitat. Und die Enkelinnen und Töchter der Sklavinnen, die die Sklaverei überlebt haben – und so weiter. Wir sind jedenfalls die Töchter und Enkelinnen von Frauen, die nicht gehört wurden. Ihre Gefühle oder Talente waren nicht wichtig, sie mussten sich vor allem um andere kümmern. In vielen (oder allen?) Frauenlinien gibt deshalb es eine Menge Schmerz und Qualen, die nie verarbeitet wurden.

Die Mutterwunde

Der Begriff "Mutterwunde" wurde von der US-amerikanischen Trainerin Bethany Webster geprägt. Die Mutterwunde bezieht sich auf den Schmerz, eine Frau zu sein, der in patriarchalischen Kulturen von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Die Mutterwunde meint also nicht buchstäblich die schwierige Beziehung zur eigenen Mutter – obwohl das oft dazugehört –, sondern all die Traumata, die du als Frau von den Frauen vor dir aus deiner matrilinearen Abstammung geerbt hast. Frauen mit mütterlichen Wunden nehmen sich zurück und können sich um jeden kümmern, nur nicht um sich selbst. Webster erklärt: "Mit wenigen Ausnahmen sind Mädchen von Geburt an darauf konditioniert, sich von ihrer Wahrheit, von ihrer eigenen inneren Mutter und von der Kraft, die in ihnen steckt, abzuspalten. Mädchen leiten ihren Wert oft daraus ab, andere zufriedenzustellen. Das erzeugt Angst, Zweifel und Scham und ist das Kernproblem der Emanzipation". Webster zufolge hilfst du durch die Heilung deiner eigenen Mutterwunde und deiner weiblichen Abstammung nicht nur dir selbst und deinen eigenen Kindern, sondern tatsächlich allen Frauen auf der Erde, stärker zu werden.

Mutter und Tochter auf Bahngleisen
Es braucht viel Zeit und Arbeit, die matrilinearen Beziehungen zu verstehen. Foto: canva.com

Verbinde dich mit deiner matrilinearen Abstammungslinie

Wie kannst du also eine tiefe Verbindung zu deiner Frauenlinie aufbauen und die Mutterwunde heilen? Das Ausmaß, in dem du dich mit deiner matrilinearen Abstammungslinie verbinden kannst und dich als eine von ihnen fühlst, bestimmt, ob und wie du dich traust, für dich selbst zu entscheiden, und Beziehungen einzugehen. Dies wirkt sich auf die Beziehungen zu geliebten Menschen, Kindern, Familienmitgliedern und sogar Kolleg:innen aus. Wenn die Mutterlinie gestört ist, kann es sich so anfühlen, als ob das Leben nicht fließt, als ob man viele Rückschläge zu verkraften hat. Im Gegensatz dazu gewinnst du an Selbstvertrauen, wenn du deine eigene Vorgeschichte und deinen einzigartigen Platz darin kennst:

  1. Zunächst einmal ist es wichtig, die Frauen kennenzulernen, die vor dir da waren. Ihre Namen, ihre Erfahrungen, ihre Qualitäten, die auch in dir stecken. Du kannst erforschen, womit sie in ihrem Leben zu kämpfen hatten, erforsche ihre Geschichte.

  2. Eine andere Möglichkeit, sie kennenzulernen, ist eine Familienaufstellung oder eine Aufstellung der Frauenlinie, eine Methode, die oft bei Coachings oder in Therapien genutzt wird, um die Beziehungen zu Familienmitgliedern darzustellen, zu ergründen und mögliche Probleme zu erkennen.

  3. Und es geht noch intensiver: Beginne mit der Verbindung zu deiner eigenen Mutter. Wie ist eure Beziehung? "Die Bewegung zur Mutter ist immer die heilsamste Bewegung", sagt Coachin und Familienaufstellerin Ilse Brommersma. "Wenn du deine Mutter ablehnst, lehnst du in Wirklichkeit das Leben ab. Die Frau schenkt Leben. Und deine Mutter hat dir das größte Geschenk überhaupt gemacht: dein Leben. Mehr als du jemals zurückgeben kannst. Auch wenn du adoptiert wurdest, wenn deine Mutter gestorben ist oder du eine schwierige Beziehung zu ihr hast, ist es wichtig, das anzuerkennen. Das allein ist bereits heilend."

Den eigenen Platz in der Mutterlinie einnehmen

Wie erwähnt kann eine Familienaufstellung der Frauenlinie hilfreich im Heilungsprozess sein. Dabei ist es ebenfalls wichtig, dass jede:r seinen Platz im Stammbaum kennt, dass die Kinder unter den Eltern und die Eltern unter den Großeltern stehen. Die bekannte Theoretikerin der Familienaufstellung Els van Steijn, eine Kollegin von Brommersma, hat den "Brunnen" entwickelt, um die Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern darzustellen. Wenn Menschen nicht an ihrem richtigen Platz im Brunnen stehen, sind die Beziehungen gestört. Zwischen Müttern und Töchtern gibt es zwei Arten von ungünstigen Mustern, erklärt Brommersma. "Wenn man sich früher auf eine bestimmte Art und Weise um seine Mutter kümmern musste – etwa, weil sie schwer beschäftigt war – und man sie als Tochter entlasten wollte, entwickelt man ein Muster, bei dem man Verantwortung übernimmt, die nicht für einen selbst bestimmt ist. Man fängt an an, sich zu sehr zu kümmern, zu viel zu geben. Im systemischen Brunnen, wie es Els van Steijn, eine Kollegin aus der Familienforschung, beschreibt, stellst du dich über deine Mutter, statt unter sie, wo du hingehörst." Das andere Muster, dem man häufig begegnet, ist, dass eine Tochter ihre Mutter ablehnt oder ein starkes Urteil über ihre Mutter hat. "Auch dann stellt sich die Tochter sozusagen über die Mutter in den Brunnen", sagt sie. Beide Muster führen zu Störungen.

Zwei Frauen umarmen sich
Ein wichtiger Schritt bei der Heilung der matrilinearen Abstammungslinie ist, anzunehmen, was sie uns mitgegeben hat. Foto: canva.com

Akzeptiere deine Frauenlinie

"Man kann nur dann erwachsen werden, wenn man bereit ist, zu seinem Platz hinabzusteigen, wenn man bereit ist, in die Kindheit zurückzukehren und so beginnt, seine Mutter als Mutter zu sehen", sagt sie. "Und wenn du dort ankommst, an diesem Ort des Kindes, wirst du auch anfangen, den Schmerz all dessen zu spüren, was du als Kind verpasst hast." Das ist also der Deal, das ist das Paket, das du bekommen hast. Deine Mutter hat dir das größte Geschenk gemacht, das es gibt: das Leben. Und darüber hinaus hat sie dir höchstwahrscheinlich viel von dem gegeben, was du nicht gebraucht hast, und auch Traumata weitergegeben. Das alles zusammen ist dein Schicksal, und dein Schicksal vollständig zu akzeptieren und es sogar zu lieben – darin liegt die Heilung der Mutterlinie.

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