"Für ein erfülltes Leben braucht es radikale Ehrlichkeit" – Interview mit Life-Coachin Dana Schwandt
Wie sieht mein Wunsch-Leben aus? Und wie weit bin ich davon entfernt? Die Life-Coachin und Podcasterin Dana Schwandt widmet sich seit über zwanzig Jahren Persönlichkeitsentwicklung, dem inneren Wachstum und der elementaren Frage: Wie kann ich mein volles Potenzial entfalten – und dadurch das Leben führen, das ich wirklich möchte? In Danas Buch „Made for more – Du bist für mehr gemacht“ gibt sie nicht nur die Antworten darauf, sondern auch ungeschönte Einblicke in ihren Alltag und ihre Partnerschaft.
Du sagst, dass die meisten Menschen absolut unter ihren Möglichkeiten leben – ihr Potenzial nicht ansatzweise ausschöpfen. Warum ist das so?
Die wenigsten haben überhaupt eine Idee davon, was alles in ihnen steckt. Hier liegt für mich das größte Problem. Dabei ist es egal, ob man die spirituelle Ebene nimmt oder weltlich die Fähigkeiten und Anlagen der emotionalen und mentalen Komponente betrachtet. Das meiste liegt im Verborgenen.
Woher kommt diese Unwissenheit?
Wir lernen den Zugang zu unseren Potenzialen nicht! Zum einen bekommen wir in der Regel von unseren Eltern nicht vorgelebt, dass es so etwas wie eine innere Stimme oder Intuition gibt. Zum anderen wachsen wir in einem Schulsystem auf, in dem uns tagtäglich beigebracht wird, nicht unserer Intuition, unseren Impulsen, unserer Freude zu folgen. Stattdessen reproduzieren wir, was laut Lehrplan vorgegeben ist und gehen über unsere Lustgrenzen hinaus. In diesem System verlernen wir sukzessive auf unser Inneres zu hören. Dabei ist es der Wegweiser zu unseren Potenzialen.
Also müsste dieser Samen schon in der Kindheit gesät werden?
Unbedingt! In den ersten sechs bis sieben Lebensjahren ist unsere Gehirnwelt, und damit auch der Verstand, in einer Art Hypnosezustand. Jede Erfahrung, die wir machen, alles, was zu uns gesagt wird, erhält ungefiltert Zugang in unser System. Der Kopf legt aus den Erfahrungen und ihren Schlussfolgerungen quasi eine Bibliothek an. Sie beherbergt unser Selbstbild – bin ich liebenswert, schlau, dumm, etc. – sowie unsere Meinungen und Urteile über Menschen und das Leben im Allgemeinen.
Was geschieht mit dieser Verstandesbibliothek im Kopf?
Ihr Inhalt ist die Basis unserer Handlungen – wie eine Blaupause, die wir immer wieder reproduzieren. Dieses Gelernte wird angewendet: in der Schule, im Job, in der Partnerschaft, in Freundschaften. Es ist eines der größten Probleme, denn unsere frühen Kindheitserfahrungen entsprechen oft nicht der Realität.
Kannst du ein Beispiel dafür nennen?
Nehmen wir einen Klassiker, um es ganz deutlich machen: Die Eltern, Lehrer oder Erzieher sagen einem Mädchen immer wieder, dass es nicht rechnen könne und dass das nicht schlimm sei, weil Jungs eben in Mathe viel besser seien. Der Verstand speichert ab: „Ich kann nicht rechnen (weil ich ein Mädchen bin)“. Mit wie viel Selbstbewusstsein geht so ein Kind nach vorne an die Tafel? Meldet es sich überhaupt? Es wird vermutlich nie den Spaß an Mathe entdecken, den es vielleicht haben könnte und sogar sein Talent, weil es glaubt, nicht gut darin zu sein. Ein anderer Klassiker ist übrigens das Werfen im Sportunterricht.
Gibt es einen Ausweg aus diesem Dilemma?
Als erstes ist es super wertvoll, zu erkennen, wie der Verstand funktioniert. Und im zweiten Schritt nachhaltig auf allen tieferen Ebenen zu etablieren, nicht alles zu glauben, was ich denke. Das ist allerdings ein Prozess – gelernt ist eben gelernt. Deswegen beschäftigt sich mein erstes Buch-Kapitel auch so intensiv damit.
Neben dem Verstand spielt das Thema radikale Ehrlichkeit eine Schlüsselrolle in deinem Buch. Was verstehst du darunter?
Radikale Ehrlichkeit bedeutet für mich, im ersten Schritt sich selbst gegenüber die Wahrheit zu sagen. Und im zweiten auch gegenüber anderen. Selbst wenn es bedeutet, dass ich mir eingestehe: „Verdammt, ich stecke seit 40 Jahren in einem Beruf, den ich eigentlich gar nicht machen will.“ Nur dann kann ich überlegen: Was bedeutet das für mich? Welche Schlüsse und Konsequenzen ziehe ich daraus?
Hängen ein erfülltes Leben im eigenen Potenzial und radikale Ehrlichkeit zusammen?
Absolut. Ich muss mir Dinge eingestehen und anderen gegenüber zur Sprache bringen – das ist die radikale Ehrlichkeit. Das „Muss“ ist dabei ein konditionales. So komme ich meinen eigenen Bedürfnissen, meiner Freude und meinen Wünschen näher – den Wegweisern zu meinem Potenzial. Das heißt: Wenn ich wirklich glücklich leben will, muss ich die Bedingung erfüllen, mir selbst und anderen die Wahrheit zu sagen. Und zwar radikal. Ich habe extra dieses Wort gewählt: Ein bisschen Ehrlichkeit bringt mich nicht weiter. Ich kann ja auch nicht ein bisschen schwanger sein. Wenn ich nicht wirklich, wirklich bereit bin, die Karten auf den Tisch zu legen, ziehe ich die Grenze immer nach. Ich habe keine Chance, frei auszuschwingen.
Was hindert uns daran?
Oft ist es die Angst vor Ablehnung oder anzuecken. Dann vermeide ich radikale Ehrlichkeit, halte etwas zurück, bin lieb, nett und angepasst, um gemocht zu werden. Es gibt aber auch die andere Seite der Medaille: Der Typ „nach mir die Sintflut“ mit dem typischen Satz „so bin ich eben“. Diesen Anteil haben viel von uns in sich. Er macht ihnen Angst und deshalb halten sie lieber den Mund. Der goldene Mittelweg aber, unabhängig von diesen beiden Extremen, bedeutet, ohne Vorwurf, selbstverantwortlich zu handeln. Beispielsweise zu sagen: „Ok, so funktioniert es nicht und ich möchte das gerne anders haben.“ Besonders schwierig ist das natürlich bei Menschen, die uns nahestehen wie dem Partner oder engen Freunden.
Wie radikal ehrlich bist du in deiner Partnerschaft?
Ich gebe mein Bestes (lacht). Und überprüfe immer wieder: Wie gut gehts mir gerade? Fühle ich mich in dieser Situation stabil? Bin ich transparent und geöffnet, aber trotzdem mit einem starken Rückgrat oder versuche ich mich zu verstellen? Oder bin zu verkrampft, geht mein Atem vielleicht flach und ich verspanne? Meine Gefühle sind mein Indikator. Sie zeigen mir, ob ich noch an meiner Wahrheit ausgerichtet bin. Um diese Indikatoren abrufen zu können, schule ich täglich, den Kontakt zu meinem Inneren zu halten, beispielsweise durch eine Morgen- und Abendroutine. Denn wir verlieren uns schnell in unserem Kopf und der Gedankenwelt. Gleichzeitig bin ich im Austausch mit Matthias und meinen Kindern, damit wir die radikale Ehrlichkeit auch in unseren Beziehungen praktizieren.
Und wenn beispielsweise dein Partner Matthias dir gegenüber nicht radikal ehrlich ist?
Also an richtig guten Tagen (lacht) kann ich das mit liebevollen Augen betrachten und sehen, dass Matthias an einer Grenze angekommen ist. Dann kann ich das aus einer wertschätzenden, liebevollen Haltung heraus ansprechen. Das könnte so klingen: „Wir müssen mal gucken, ich glaube, du sagst dir und mir da nicht die Wahrheit?“
Und an den normalen Tagen?
Wie in jeder Partnerschaft ist mein Mann mein liebster Trigger. Wenn Matthias aus der radikalen Ehrlichkeit fällt, fliege ich auch aus meinem System. Ohne sagen zu wollen, dass er schuld ist. Manchmal bin ich auch zuerst raus und deswegen steigt Matthias überhaupt erst unbewusst aus. Also an diesen normalen Tagen bin ich schnell im Mindfuck und fange an, ihm Vorwürfe zu machen – eben klassische Ehe (lacht). Dann streiten wir – wir haben eine gute Streitkultur etabliert. Aber manchmal sind wir natürlich ungerecht, blöd und fies zueinander. Wichtig ist nur, dass wir den Konflikt dann relativ schnell als Katalysator für die Energien des Moments nutzen, um uns gegenseitig wieder die Wahrheit zu sagen. Dafür ist Streit ein super Tool!
Du gewährst in deinem Buch tiefe Einblicke in dein Leben und deine Partnerschaft. Ist dir das schwergefallen?
Im Gegenteil! Ich habe es in den letzten Jahren immer mehr etabliert, super transparent zu sein – sei es in meiner Partnerschaft, gegenüber Freunden oder auch in unserem Unternehmen. Bei meinem Buch bin ich der Meinung: Nur so können sich andere Menschen in meinem Handeln und meinem Buch wiedererkennen. Ich hoffe, dass es ihnen den Mut gibt, in ihrem Leben Schritte einzuleiten, um einem erfüllten Leben ein Stück näher zu kommen und die Version von ihrem Selbst entdecken, die hinter „Made for more“ steckt. Selbst wenn es nur eine Handvoll sind, würde mich das super glücklich machen. Ich bin ja auch weit davon entfernt, angekommen zu sein.
Über Dana Schwandt:
Danas Anliegen ist es, so vielen Menschen wie nur möglich den Weg zu einem erfüllten Leben zu zeigen. Die 40-jähirge beschäftigt sich schon seit 20 Jahren mit Persönlichkeitsentwicklung, führte 13 Jahre ein Yoga-Studio in Hamburg und ist Ayurveda- und Life-Coachin. Zusammen mit ihrem Mann Matthias leitet Dana das Online-Business "Ichgold", indem sie ihr Wissen aus Persönlichkeitsentwicklung, Ayurveda, Yoga und Heilpraktik bündelt. In Online-Kursen, einem Podcast und ihren Büchern gibt sie dieses Wissen weiter. Weiter Infos findet ihr auf Danas Website.