Achtsamkeit: Bewusst atmen, sich spüren

Die Diagnose Multiple Sklerose war für happinez-Autorin Ulrike Fach-Vierth der Anlass, sich auf eine Reise zur bewussten Wahrnehmung des Moments und zu sich selbst zu begeben. Wie sie durch ein dreiwöchiges Experiment Achtsamkeit gelernt hat und wie auch du achtsamer leben kannst, erfährst du hier.

Achtsamkeit: Bewusst atmen, sich spüren
Bewusst im Hier und Jetzt leben: Wie wir Achtsamkeit als Heil- und Kraftquelle für uns entdecken können. Foto: Javier Allegue Barros

Was bedeutet Achtsamkeit?

Definiert wird der Begriff Achtsamkeit als Zustand, bei dem ein Mensch geistesgegenwärtig und bei vollem Bewusstsein im Hier und Jetzt ist. Er nimmt seinen Geist, Körper und die Umwelt aktiv und bewusst war. Dabei lässt er sich nicht von Gedanken oder Gefühlen ablenken. Ein Zustand, der mentale und körperliche Beschwerden lindern und für Erleichterung vom Druck des Alltags sorgen kann. Und das Beste: Achtsamkeit kann man lernen.

Innehalten und den Moment wertschätzen

Die sachlich-knappe Diagnose des Neurologen: Multiple Sklerose. Verlauf: Chronisch schleichend. Einflussmöglichkeiten: Abgesehen von Physiotherapie gleich null. Damit wollte sich happinez-Autorin Ulrike Fach-Vierth nicht zufriedengeben. Durch Achtsamkeitsmeditation hat sie gelernt, innezuhalten und dabei erkannt, dass jeder Augenblick unser Lehrer sein kann.

Achtsamkeitsmeditation aktiviert die Selbstheilungskräfte

Krankheit ist ein Faktor, der unser Leben unvorhergesehen verändern kann. Wir können keinen bewussten Einfluss darauf nehmen. Sehr wohl beeinflussen lässt sich jedoch, wie wir mit Krankheit umgehen: So ist etwa de amerikanische Molekularbiologe Jon Kabat-Zinn, der Begründer der Achtsamkeitsmeditation, der Meinung, dass der Anteil an Gesundem in uns überwiegt, solange wir atmen, unabhängig davon, was möglicherweise alles „nicht stimmt“. Kabat-Zinn ist davon überzeugt, dass das bewusste Wertschätzen des Gesunden in uns die eigenen Selbstheilungskräfte stärken kann: Statt es als selbstverständlich zu erachten, können wir durch gezielte Aufmerksamkeit und Achtsamkeit unsere Energie auf positive Aspekte lenken und Gesundheit und Heilung damit aus uns selbst heraus vorantreiben.

Achtsamsein als Bewusstseinszustand etablieren

Kabat-Zinn beschreibt Achtsamkeit als einen Bewusstseinszustand, in dem wir unsere Aufmerksamkeit ganz bewusst auf all jene Dinge richten, über die wir gewöhnlich nie nachdenken. Achtsamkeitsübungen sind eine Herausforderung des eigenen Geistes, können aber durch regelmäßige Praxis zu einer wirksamen Methode gegen Ängste oder Schwierigkeiten im Leben werden. "Achtsamkeit ist kein Bulldozer, mit dem man jeden Widerstand einfach platt walzt", sagt Jon Kabat-Zinn. "Sie rüttelt vielmehr sanft an unseren Barrieren, hier ein wenig und dort ein wenig - und während sie zu wanken beginnen, eröffnen sich neue Dimensionen des Seins, sogar mitten im Zweifel und Schmerz."

Achtsamkeitstraining verändert den Blickwinkel

Nach Kabat-Zinn ist Heilung nicht unbedingt gleichbedeutend mit Genesung. Es kann aber auch heilend sein, die eigene Einstellung zu Krankheit und Schmerz zu verändern und statt ausschließlich negativer Aspekte die Gesamtheit des Seins, den Moments als solchen zu erfassen. Auf alles, was ist, achten und die Dinge so sehen, wie sie sind – das ist Achtsamkeit, die wir als Heil- und Kraftquelle nutzen können, sofern wir empfänglich und offen dafür sind.

„Achtsamkeit bedeutet, dass wir ganz bei unserem Tun verweilen, ohne uns ablenken zu lassen.“
Dalai Lama

In 3 Wochen Achtsamkeit lernen

In Jon Kabat-Zinns Standardwerk Gesund durch Meditation wird ein dreiwöchiges "Mindfulness-Based Stress Reduction"-Programm, kurz MBSR-Programm, beschrieben, das gut als Einstieg in die Achtsamkeitsmeditation für zuhause geeignet ist. Die einzige Startvoraussetzung: Entschlossenheit.

Woche 1: Bewusst atmen

Unser Atem ist ein nicht zu unterschätzender Verbündeter im Selbstheilungsprozess. Eine erste Atemübung für mehr Achtsamkeit:

  • Sich in entspannter Sitzhaltung 15 Minuten lang auf das Kommen und Gehen des eigenen Atems, das Heben und Senken der Bauchdecke, konzentrieren.

  • Aufkommende Gedanken wie leichte Wolken am Himmel vorbeiziehen lassen.

  • Die Unruhe im Kopf lediglich wahrnehmen, nur beobachten, nicht bewerten und wieder zur Atmung zurückkehren.

Woche 2: Den Körper bewusst wahrnehmen mit der Body-Scan-Methode

Sich mit vollem Bewusstsein auf den eigenen Körper zu konzentrieren, nicht zu urteilen, sondern nur zu spüren und wahrzunehmen, kann das eigene Körperempfinden und -erleben nachhaltig verbessern:

  • Die Body-Scan-Methode ist als Teil der Achtsamkeitsmeditation darauf ausgerichtet, den ganzen Körper in entspannter (Liege-)Haltung gedanklich zu durchwandern – vom kleinen Zeh über die Fußsohlen, die Fersen den Fußrücken und den Knöchel bis in die Wade und so weiter.

  • Jeder Bereich des Körpers wird bewusst „durchatmet“ und erspürt. Während dieses gedanklichen Abtastens wird jeder einzelnen Körperpartie ungeteilte Aufmerksam zuteil.

  • Der Effekt: Wir können unseren Körper als komplexes Ganzes erfassen, dem wir Wertschätzung und Dankbarkeit entgegenbringen dürfen, denn es ist ein unfassbar durchdachtes Meisterwerk, das jeden Augenblick unseres Lebens Einsatz leistet. Zum eigenen Selbst und in den eigenen Körper finden: Mit Achtsamkeit kann das nachhaltig gelingen.

Woche 3: Gehmeditation – Schritt für Schritt achtsamer werden

Sehen, hören, sprechen, riechen, denken, ja auch atmen: Alles, was unser Körper leistet, ist es wert, beachtet zu werden, denn es ist erstaunlich. Sich etwa einmal ganz bewusst auf das Gehen zu konzentrieren, führt uns vor Augen, welche wunderbare und kostbare Fähigkeit es ist – besonders, wenn sie etwa wie bei Autorin Ulrike Fach-Vierth durch Krankheit eingeschränkt wird. Durch das bewusste Wahrnehmen des Augenblicks wird alles zum Lehrer: die Signale des Körpers und des Geistes, jeder Schmerz, jede Freude. Eine Gehmediation kann uns zum Beispiel dafür sensibilisieren, wie unglaublich komplex unser Körper funktioniert – egal ob auf dem Weg zum Supermarkt, beim Treppensteigen oder beim Spazierengehen mit dem Hund. Es geht um das bewusste Erfühlen des Gehens, wie ein Fuß auf dem Boden aufsetzt, sich das Gewicht darauf verlagert, der andere Fuß abhebt, er weitergetragen wird und schließlich wieder auf dem Boden abrollt. Bei jedem Schritt präsent, vollständig „bei sich“ sein: Das kann uns buchstäblich erden.