Gesunder Egoismus: 7 Fragen für mehr Einsicht

Niemand möchte als egoistisch gelten, vor allem nicht in den Augen anderer. Dabei ist gesunder Egoismus – oder besser: Selbstfürsorge – sehr wichtig, um die eigene Kraft zu bewahren. Diese sieben Fragen helfen dir, herauszufinden, wie es um deinen gesunden Egoismus bestellt ist.

Person sieht sich in Spiegel an auf Wiese
Jeder Mensch sollte einen gesunden Egoismus an den Tag legen. Foto: canva.com

Frage 1: Verhalte ich mich richtig und aus gesundem Egoismus heraus?

Es gibt eine Falle, die sich „innerer Kritiker“ nennt: Das ist die Stimme in deinem Kopf, die alles kritisiert, was du tust. Du hattest eine schöne Party bei einer guten Freundin; es ist spät geworden, du musst morgen früh auf – und du gehst, ohne anzubieten, beim Aufräumen zu helfen. Dann sagt die Stimme vielleicht strafend: „Was für eine Ego­istin bist du doch, jetzt steht sie alleine da und schuftet.“ Wenn du aber anbietest zu helfen, dann sagt die Stimme vielleicht: „Was spielst du hier die Heilige, jetzt kommst du wirklich zu spät ins Bett.“

Der innere Kritiker ist immer darauf aus, dich beschämt und schuldig fühlen zu lassen, indem du dich selbst verurteilst. Die Kunst besteht also darin, dein Handeln milde und ohne Urteil zu betrachten. Das machst du, indem du wie ein Hubschrauber über der Situation schwebst und alle Aspekte davon betrachtest. Zum Beispiel: Es ist spät geworden, ich bin die Letzte, ich will nach Hause. Überall stehen leere Gläser, Teller... Kann ich es aufbringen, noch eine Weile zu bleiben, um zu helfen? Nein, eigentlich nicht, ich bin wirklich müde. Und ich habe noch eine lange Fahrt vor mir, wahrscheinlich genauso lange, wie sie braucht, um aufzuräumen. Wenn ich jetzt einfach gehe, liegen wir gleichzeitig im Bett. Schlussfolgerung: „Süße, es war wunderbar, aber ich bin müde und ich muss noch weit fahren. Also gehe ich jetzt, ohne zu helfen, ist das okay für dich?“

Frage 2: Aus welchem Teil von mir kommt der Impuls?

Du schälst eine Birne, um sie mit deinem:r Partner:in zu teilen, und plötzlich blitzt ein Gedanke auf: Ich nehme mir das größte Stück einfach selbst. Woher kommt dieser Gedanke? Kümmerst du dich vielleicht im Allgemeinen zu sehr um deine:n Partner:in, mehr als du wirklich möchtest, und dies ist ein Kompensationsverhalten? Hast du immer Angst, zu kurz zu kommen, weil du als Kind oft übergangen wurdest? Überlege dir eine Möglichkeit, endlich loszulassen und dich weniger als Opfer zu fühlen. Wir alle haben viele „Ichs“ in uns und einige davon sind weniger schön. Oder besser gesagt: Jeder schöne Teil von dir hat ­irgendwo eine weniger schöne Gegenseite. Wenn du ein Perfektionist bist, gibt es irgendwo auch einen Schluderer in dir. Wenn du jedem helfen willst, lauert tief in dir auch ein Ausbeuter. Je besser und altruistischer du zu sein versuchst, desto tiefer verborgen ist dein Schatten. Gesunder Egoismus bedeutet auch, deinen eigenen Schatten zu umarmen und zu akzeptieren. Nur das, was du akzeptierst, kannst du auch beherrschen. Solange du deine weniger edlen Impulse konsequent leugnest und in deinem Inneren verdrängst, werden sie früher oder später doch ihren Weg nach außen finden.

Zwei Personen in Sesseln mit Kaffeetassen
Würdest du den gesunden Egoismus deinem:r Freund:in erlauben? Foto: canva.com

Frage 3: Wie fände ich es, wenn mein:e beste:r Freund:in das täte?

Eine hervorragende Methode, um herauszufinden, ob du in manchen Dingen zu streng mit dir bist, ist dir vorzustellen, dass eine geliebte Person dich dazu um Rat fragt.

Stell dir also vor, ein:e Freund:in lädt dich zu einem wunderbaren Yoga-Retreat in Frankreich ein, zu einem Sonderpreis. Du fragst dich, ob du das deiner Familie gegenüber verantworten kannst. Die Kinder müssten zum ersten Mal so lange zu Oma und Opa, dein Mann hat viel zu tun auf der Arbeit und muss eine Woche allein klarkommen. Wenn ein:e Freund:in dich fragen würde, ob sie das machen kann, würdest du wahrscheinlich begeistert rufen: „Aber natürlich! Das tut dir so gut! Du kommst erholt und aufgeladen zurück, und das ist gut für alle.“ Kannst du dir diese „beste Freundinnen“-Argumentation selbst geben? Natürlich könnte es auch sein, dass du sagen würdest: „Hmm... ich weiß nicht. Denk noch mal drüber nach. Dein Jüngster gewöhnt sich gerade erst an die Kita und der Älteste muss in dieser Woche das Schwimmabzeichen machen. Dein Mann hat eine große Aufgabe, die viel von ihm abverlangt... Vielleicht ist das gerade nicht der richtige Zeitpunkt für dich, eine Auszeit zu nehmen.“ Werde dein:e eigene:r beste:r Freund:in, die dich nicht schont, aber dich aufrichtig liebt und möchte, dass du glücklich wirst.

Frage 4: Füge ich mit meinem (gesunden) Egoismus schaden zu?

Eine Frage, die einfacher klingt, als sie ist. Denn was ­bedeutet es, jemandem Schaden zuzufügen? Fügst du beispielsweise jemandem Schaden zu, wenn du nicht zu einer Party erscheinst, zu der du eingeladen wurdest? Bei den meisten Festen kommen so viele Menschen, dass du problemlos fehlen kannst; sie amüsieren sich prima ohne dich. Wenn du freundlich für eine Einladung absagst, mit oder ohne Angabe von Gründen, bist du sicherlich nicht die Einzige und gewiss kein:e Egoist:in. Manchmal gibt es jedoch Anlässe, bei denen du zwar nicht wichtig, aber unverzichtbar bist, wie bei einem Familientreffen oder einer Hochzeit, bei der du einer der wenigen Familienangehörigen der einen Hälfte des Paares bist. Deine Abwesenheit würde dann ein auffälliges Loch hinterlassen und es wäre schön, wenn du dich dazu durchringen könntest, trotzdem zu gehen, auch wenn du weißt, dass du den ganzen Tag am Rande sitzen wirst. Gesunder Egoismus bedeutet immer wieder zu denken: Was ist mein Anteil an dieser Aufgabe? Und nicht mehr zu tun, als vernünftig ist.

„Als ich mich selbst zu lieben begann, habe ich mich von allem befreit, was nicht gesund für mich war.“
Charlie Chaplin

Frage 5: Ist es Gier oder ein Bedürfnis?

Es gibt ein berühmtes Zitat von Mahatma Gandhi: „Diese Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier.“ Die Frage ist also: Was sind deine Bedürfnisse?

Marshall Rosenberg, der Entwickler der Gewaltfreien Kommunikation, führte in seinem gleichnamigen Buch eine Liste menschlicher Grundbedürfnisse auf, die wir alle teilen. Neben unseren körperlichen Bedürfnissen wie Berührung, Bewegung, Ruhe usw., haben wir alle das Bedürfnis nach Autonomie, Integrität in Form von Authentizität, der Möglichkeit, das Leben zu feiern und auch zu betrauern, gegenseitiger Abhängigkeit, Spiel und Wohlbefinden. Unter Autonomie fällt beispielsweise, dass du deine eigene Art wählen kannst, deine Träume zu verwirklichen. Zu gegenseitiger Abhängigkeit gehören unter anderem Verständnis und Anerkennung, Geborgenheit und Liebe, Unterstützung und Wertschätzung, aber auch Respekt und Ehrlichkeit. Unter Wohlbefinden zählt er Harmonie, Ordnung, Schönheit, Frieden und Inspiration. Nicht aufgeführt sind: die neueste Chanel-Tasche oder eine Villa an der Elbe. Akzeptanz ja, aber keine Bewunderung. Schutz vor lebensbedrohlichen Situationen, aber kein Schutz vor Enttäuschung. Nähe ja, aber keine Kompensation für Verlust.

Das Kernprinzip der Gewaltfreien Kommunikation ist, dass du ehrlich und verletzlich deine Bedürfnisse äußerst, weil das die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass ein anderer gern hilft, diese Bedürfnisse zu erfüllen. Dabei musst du jedoch immer verstehen, dass du von einem anderen Menschen nicht fordern kannst, deine Bedürfnisse zu erfüllen; du lässt völlig offen, ob es geschieht oder nicht, und bist nicht empört, wenn jemand auf eine Bitte mit Nein antwortet. Bei einer Ablehnung suchst du gelassen nach einer anderen Möglichkeit, dein Bedürfnis zu erfüllen. Gesunder Egoismus bedeutet also, sich für die eigenen Bedürfnisse auch selbst verantwortlich zu fühlen.

Person umarmt sich selbst auf Wiese
Gesunden Egoismus lernen? Das geht! Foto: canva.com

Frage 6: Gibt es auch andere Arten, wie ich gut mit gesundem Egoismus für mich selbst sorgen kann?

Dein:e Partner:in möchte einen Hund, und du sträubst dich dagegen. Denn du siehst es schon vor dir: Er übernimmt vielleicht die sonntäglichen Strandspaziergänge, aber das tägliche Gassigehen bei Wind und Wetter fällt auf dich zurück. Er findet dich egoistisch und du fragst dich, ob dein Widerstand eine Frage des Selbstschutzes ist oder tatsächlich Egoismus.

Kannst du deine Bedenken offen aussprechen und Absprachen mit deinem Partner treffen? Vielleicht ist es an der Zeit, offen zu sein und zu überprüfen, wie die Aufgaben in der Beziehung verteilt sind und ob dies gerecht ist. Oder du möchtest Kinder und er fühlt sich noch nicht bereit. Wer ist hier der/die Egoist:in? Kinder zu haben ist doch ein natürliches Bedürfnis, das tut man doch nicht für sich selbst? Aber „Fortpflanzung“ erscheint nicht auf Marshall Rosenbergs Liste (siehe Frage 5). Geht es nicht vor allem um Wärme, Berührung, Sicherheit und Geborgenheit, die du suchst? Könntest du versuchen, deine Beziehung erst wärmer und intimer zu gestalten und dann nach einer Weile noch einmal über Babys zu sprechen?

Frage 7: Kann ich akzeptieren, wenn es anders läuft, als ich erwartet habe?

Gesunder Egoismus bedeutet keinesfalls, sich wütend gegen das zu wehren, was auf deinem Weg liegt. Eckhart Tolle sagt, man solle nicht von der New Age-Idee ausgehen, dass man alles, was geschieht, selbst erschaffen hat. Das sei oft zu grausam, besonders wenn man sich in schwierigen Umständen befindet. Aber, so Tolle, es hilft als eine Form der spirituellen Übung, die Dinge zu akzeptieren, als hätte man die Ereignisse selbst gewählt. Denn sie sind nun einmal da, und Akzeptanz schafft Raum in der Sache. In diesem Raum entsteht die Möglichkeit, die Dinge zu ändern. Wenn du wirklich nicht in der Lage bist, die Situation zu akzeptieren und wütend bist, dann akzeptiere deine Wut, sagt er. So bringst du auf einer anderen Ebene doch Akzeptanz in die Situation und damit Raum.

Ungesunder Egoismus ist fast immer eine Form von Verengung, eine Einschränkung. Dein Ego sagt dir, dass du etwas bekommen musst, um glücklich sein zu können. Gesunder Egoismus bedeutet, dein Leben mit Überblick zu betrachten und dir den Raum zu geben, den du auch anderen zugestehst.

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