Füreinander da sein: Heilung in Freundschaften

Wir alle brauchen manchmal Unterstützung, und es gibt viele Coach:innen, die dabei helfen können. Doch bevor wir diesen Schritt wagen, wenden wir uns oft zuerst an einen Freund oder eine Freundin. Schließlich möchten wir in Freundschaften füreinander da sein. Doch wie reagieren sie, wenn du mit einer Frage oder einem Dilemma konfrontiert bist? Und wie reagierst du selbst, wenn ein Freund in Not ist? Die verschiedenen Typen zeigen wir dir hier.

Frauen umarmen sich auf Wiese
Wahre Freund:innen wollen immer füreinander da sein. Foto: canva.com

Es gibt viele Arten des Füreinanderdaseins

Eine breite Schulter, eine Gegenstimme, ein offenes Ohr – das sind alles Eigenschaften, die man sich bei seinem Gegenüber wünscht, wenn man Rat oder Unterstützung bei einem Problem sucht. Aber an wen seiner engsten Lieblingsmenschen soll man sich wenden? Ist die Freundin, die so empathisch mitfühlt, tatsächlich eine gute Coachin, oder ist es der Freund, der unverblümtes Feedback gibt? Im Folgenden bringen wir dir einige grundlegende Typen näher, von denen manche im Füreinanderdasein und als Unterstützung effektiver sind als andere ... Kannst du diese Typen in deinen Freund:innen erkennen? Und in dir selbst? Übrigens: auch Kombinationen sind möglich …

Person umarmt andere
Füreinander da zu sein, bedeutet nicht für jeden Menschen dasselbe. Foto: canva.com

1. Füreinander da sein vs. bemuttern: Die Mamas

Viele Frauen besitzen ein großes Herz und sind voller Liebe für ihre Mitmenschen. Doch einige Frauen neigen dazu, auch bei erwachsenen Freunden und Freundinnen in eine Mutterrolle zu schlüpfen. Dies mag zunächst wunderbar und als echte Füreinanderdasein erscheinen, erweist sich in der Praxis jedoch als weniger hilfreich, als man denken könnte. Diese Mütter lassen sich zudem in verschiedene Untertypen einteilen:

  1. Die Gemütlich-Mama: Sie möchte deine Probleme eigentlich lieber nicht hören, denn das bereitet ihr selbst zu viel Schmerz. Also beginnt sie sofort mit dem Trösten, sobald du auch nur ein halbes Wort gesagt hast. „Ach Süße, komm her, ich gebe dir eine dicke Umarmung. Lassen wir uns gemütlich bei einer Tasse Tee mit etwas Leckerem nieder. So, fühlt es sich jetzt schon ein wenig besser an?“ Eine Gemütlich-Mama kann schnell das Thema wechseln oder mitten in deiner Geschichte über Belanglosigkeiten zu sprechen beginnen. Sie ist ständig mit Gemütlichkeit beschäftigt: „Nimm noch ein Keks.“ Sie glaubt, dass sie dir damit hilft, dich tröstet und aufheitert. Doch in Wirklichkeit lässt sie dich im Stich, denn dein Problem darf nicht wirklich existieren - es wird einfach weggekuschelt.

  2. Die Mitwein-Mama:

    Sie weint mit dir auf eine Art und Weise, dass du schnell in einem Meer von Tränen zu versinken drohst. Erzählst du ihr beispielsweise von einem Konflikt auf der Arbeit, antwortet sie etwa: „Oh, wie schrecklich, das muss dich wirklich ärgern. So gehst du sicher mit Bauchschmerzen zur Arbeit... Oh, ich fühle so mit dir. Schläfst du auch schlecht? Es zehrt sicher an dir, nicht wahr? Ich sehe die Augenringe, du siehst furchtbar aus. Ach, Süße, wie schlimm für dich. Das hast du wirklich nicht verdient, wie können sie dir das antun.“ Sie konzentriert sich nicht auf deine Stärke, sondern auf das weinerliche Kind in dir. Das kann für einen Moment angenehm sein: endlich jemand, der sich aufrichtig für dein Leid interessiert. Ihr könnt auch gemeinsam herrlich über die Schurk:innen lästern, die dir das angetan haben. Doch bald wirst du erkennen, dass es dich mehr schwächt als stärkt. Vielleicht befriedigt es sogar ein Bedürfnis der Mitwein-Mama selbst? Sie kann sich besser fühlen, je schlechter es dir geht; es gibt jemanden, der es schwerer hat als sie.

  3. Die Besserwisser-Mama:

    Das ist die/der Freund:in, die/der immer genau weiß, was das Beste für dich ist, besser als du selbst. Die meisten Sätze, die er/sie von sich gibt, beginnen mit „du musst". „Weißt du, was du machen musst? Du musst einfach von ihm weggehen“, sagen sie, wenn du mit einem Beziehungsproblem zu ihnen kommst. Oder: „Du musst diesen Job jetzt kündigen, ich habe es dir schon so oft gesagt, das ist überhaupt nicht gesund für dich, daran gehst du kaputt.“ Das Ärgerliche ist, dass sie vielleicht recht hat, aber du kannst ihren Rat nie guten Gewissens befolgen, denn dann fühlst du dich wie ein gehorsames Kind. Ihr autoritärer Rat nimmt dir deine Autonomie. Eine der wichtigsten Lektionen, die man in einer Coaching-Ausbildung lernt, ist: Versuche nicht, das Problem deines:r Klient:in zu lösen. Denn am wirkungsvollsten ist es, wenn der/die Klient:in selbst die Lösung findet, Kraft in sich selbst findet, selbst Konfrontationen eingeht und selbst den Sieg erringt.

Anne de Jong, Gründerin und Hauptdozentin des Ausbildungsinstituts Coach020, formuliert es so: „Wenn du in die Mama-Rolle schlüpfst und jemandem sagst, wie sie ihr Problem lösen soll, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder du liegst falsch; oder du hast recht. Wenn du falsch liegst, weil du sie nicht gut genug kennst oder weil du etwas von dir selbst auf sie projizierst, ist das natürlich sehr schlimm, denn dann gibst du einen falschen Rat. Aber wenn du recht hast, ist das auch sehr schlimm, denn dann nimmst du ihr die Möglichkeit, selbst zu überlegen, was sie tun könnte.“

2. Schwebt über den Dingen: Der Guru

Er oder sie hat immer gerade das Buch gelesen, das alles erklärt, oder den/die spirituelle:n Lehrer:in getroffen, der/die dir helfen könnte. Der Guru hat das Licht gesehen und findet es unverständlich, dass du weiterhin ohne den Besuch desselben Kurses wie er oder ohne die Praxis der Technik, die er beherrscht, vor dich hin lebst. Er kann herrliche Spruchweisheiten zitieren und sein Blick ist weit und erhaben. Er versteht, wie das Leben funktioniert; du musst dich nur für seine Einsicht öffnen, auf seiner Frequenz mitschwingen und du wirst erleuchtet werden. Er hört deiner Geschichte nur mit einem halben Ohr zu, denn ach, im Grunde haben alle Menschen dieselben Probleme, und es geht nicht um deine irdischen Emotionen, es geht um höhere Dinge. Er kann dich zeitweilig mit seinem Wissen und seinen schönen Worten blenden. Aber wirklich helfen tut er nicht, denn eigentlich interessiert ihn die Realität deines Problems kaum oder gar nicht.

Zwei Frauen unterhalten sich auf Sofa
Für Optimisten heißt, füreinander da sein, das Gute zu sehen. Foto: canva.com

3. Alles nicht so ernst nehmen: Der Optimist

Er (m/w) sieht jedes Glas halb voll und weist dich sofort auf die Sonne hin, die hinter den Wolken scheint. „Die Zeit heilt alle Wunden“, sagt er beispielsweise oder, „Sieh es als Herausforderung. Das chinesische Wort für Krise bedeutet auch Chance.“ Was auch immer schiefgeht, er weiß, dass es irgendwo gut für ist. Ist dein Haus abgebrannt? Welch ein frischer neuer Anfang wartet auf dich! Bist du ernsthaft krank? Großartige Chance, nach innen zu schauen, du hast jetzt endlich alle Zeit für dich selbst. Dein:e Partner:in ist fremdgegangen? Was für eine Vertiefung der Beziehung, wenn du das durchstehst. Wenn du versuchst zu erklären, dass es wirklich sehr wehtut, sagt er: „Glückwunsch, Schmerz ist genau das, was du brauchst.“ Und vielleicht zitiert er sogar Leonard Cohen: „There’s a crack in everything, that’s where the light gets in.“ Selbst fühlt er natürlich nie Schmerz. Dafür ist er viel zu beschäftigt, das Krumme gerade zu reden. Ein Subtyp des Optimisten ist der Joker; er nimmt nie etwas ernst, sondern lacht alles weg. „Mensch, mach dir doch keine Sorgen um deine Finanzen, es hätte viel schlimmer kommen können ... Kennst du den Witz über den Bankier?“ Aber um den machst du wahrscheinlich sowieso schon einen großen Bogen, wenn du es schwer hast. Denn füreinander da zu sein, braucht deutlich mehr als unpassende Witze.

4. Füreinander da sein ohne Worte? – Die Sphinx

Es gibt Menschen, die dich reden lassen, während sie dich fest anblicken, aber sie sagen nichts und lassen auch kein Gefühl erkennen. Sie schauen nur, mit einem wissenden Blick. Auch wenn du aufhörst zu sprechen, schauen sie weiter, sodass du dich unwohl fühlst und dich fragst, was du sagen sollst. Mit einer Sphinx (m/w) zu sprechen, kann manchmal hilfreich sein, denn während du redest und nach Worten suchst, hörst du auch, was du denkst. Die Sphinx hört zumindest zu, sie füllt nichts für dich aus und gibt dir keinen Rat. Aber besonders warm ist ihre Herangehensweise nicht. Selbst ohne Worte ist sie in der Lage, dir das Gefühl zu geben, dass du noch viel lernen musst. Die Frage ist, warum sie nicht einfach sagt, was sie denkt und fühlt – vielleicht traut sie sich das eigentlich nicht, weil sie insgeheim nicht so viel Selbstvertrauen hat?

Personen gestikulieren im Gespräch
Herausforderer kommen einem:r Coach:in schon nahe. Foto: canva.com

5. Intensiv, aber hilfreich: Der Herausforderer

Hier nähern wir uns dem Gebiet echter Coach:innen; konfrontatives oder provokatives Coaching ist sogar eine Spezialität im Fachbereich. Wenn du einem Herausforderer (m/w) sagst, dass du einmal etwas mehr für dich selbst eintreten solltest, sagt dieser zum Beispiel: „Mach das bloß nicht. Das kannst du überhaupt nicht. Du wirst auf die Nase fallen, pass auf, ich habe das so oft bei Leuten deines Typs gesehen. Bleib du lieber brav und unterwürfig, das ist wirklich besser, glaub mir.“ Du siehst ein Funkeln in seinen Augen, also kannst du spüren, dass es nicht ernst gemeint ist, aber es reizt dich dennoch. Warum sollte ich das nicht können? Das kann ich wohl! Und das ist natürlich genau die Absicht. Das ist der Unterschied zur Mitwein-Mama: Ein Herausforderer zielt nicht darauf ab, dein Selbstmitleid zu wecken, sondern kitzelt gerade deine Stärke hervor. Der Herausforderer ist auch nicht mit dem Joker zu verwechseln, der nur Witze machen kann, weil er nicht mit Schmerz umgehen kann. Ein Joker ist immer nur ein Joker. Aber der Herausforderer kann aus seiner Rolle fallen, wenn die Situation es erfordert – wenn du zum Beispiel zu weinen beginnst. Dann verwandelt er sich auf der Stelle in einen Fragensteller.

„Füreinander da zu sein ist weder wenig noch viel. Es ist alles.“
Anonym

6. Freundschaftliches Coaching: Der Fragensteller

Diese Menschen wissen, wie es geht. Sie drängen sich nicht auf; sie warten, bis du ihre Hilfe suchst. Sie hören dir aufmerksam zu und stellen offene Fragen, weil sie genau verstehen möchten, wie die Lage ist. Sie rufen nicht aus: „Wie schrecklich für dich!“, sondern fragen interessiert: „Wie fühlst du dich dabei?“ Denn vielleicht findest du es tatsächlich schrecklich, dass deine Beziehung beendet ist, aber es kann auch sein, dass du nebenbei Erleichterung empfindest, und bei ihnen darf diese Erleichterung auch Raum haben. Sie sagen nicht: „Was du tun musst, ist...“, sondern fragen: „Hast du schon eine Idee, was du tun wirst?“ Nicht: „Wir gehen einfach zusammen aus und bevor du es weißt, hast du an jedem Finger einen neuen Kerl“, sondern: „Gibt es etwas, das dir guttun würde? Was brauchst du?“ Sie beschuldigen dich nicht, können aber eine Frage stellen, die trifft, wie: „Was willst du damit eigentlich erreichen?“ Sie prüfen, ob sie richtig verstanden haben, was du geantwortet hast, und können das, was du sagst, so gut wiederholen, dass du es manchmal plötzlich viel besser verstehst.

Nach einem Gespräch mit ihnen fühlst du dich stärker und wieder in der Lage, die Regie über dein eigenes Leben zu übernehmen. Selbst sind sie oft durch so viele Probleme und Krisen gegangen, dass sie keine Angst vor deinen Emotionen haben. Sie öffnen ihr Herz und fühlen mit deinem Schmerz mit, ohne aus der Fassung zu geraten. Sie sind ganz aufmerksam, bewahren aber ihre eigenen Grenzen gut, sodass du dich frei fühlst, auch deine dunkelsten Gefühle und Gedanken mit ihnen zu teilen. Sie urteilen nicht. Alles darf sein, auch das, was schwer ist und wehtut. Sie sind nicht gegen dich, egal, was du auch getan hast; und auch nicht gegen die Menschen, die dir Probleme bereiten. Wenn sie dir einen Rat haben, geben sie dir diesen ohne jegliche Erwartung, dass du ihm folgen wirst. Als ob sie es dir auf einem Silbertablett anbieten – du bist frei, es anzunehmen oder nicht. Bei ihnen darfst du genau der sein, der du bist, du darfst trauern, wütend sein, deine Ängste ins Auge fassen und in deinem eigenen Tempo wachsen und dich entwickeln. Aber sie lassen dich nicht im Stich oder schwimmen; sie geben durchaus ihre Meinung und ihre Unterstützung. Sie wissen genau, wie es geht, dieses Füreinanderdasein.

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