Eleanor Roosevelt: Ein Vorbild in Weisheit und Engagement
Die Frau des ehemaligen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, war eine Botschafterin für Frieden, Freiheit – und für die Liebe
Eleanor Roosevelt: Keine leichte Kindheit
Eleanor Roosevelt war als Kind und junge Frau von Angst beherrscht. In ihrer Biografie heißt es: „Immer hatte ich Angst vor etwas: vor der Dunkelheit, davor, anderen zu missfallen, zu versagen. Für alles, was ich erreichen wollte, musste ich über diese Hürde der Angst hinweg.“ Ihr mutiger Weg beginnt im Oktober 1884. Die kleine Anna Eleanor Roosevelt wird in die feinste New Yorker Gesellschaft hineingeboren, ihre Familie gehört zu den zehn reichsten Dynastien Amerikas. So wächst das kleine Mädchen in großem Luxus auf, es fehlt ihm an nichts – nur elterliche Liebe spürt es nie. Seine Mutter, eine außergewöhnlich schöne Frau, findet für das unscheinbare Mädchen mit den vorstehenden Zähnen immer wieder kränkende Worte. Die Eltern reisen gern, sind oft in Europa unterwegs. Eleanor, die große Angst vor Schiffen hat, bleibt bei der Gouvernante in New York. Als sie acht Jahre alt ist, erkrankt ihre Mutter an Diphtherie und stirbt fünf Tage später. Der Vater unternimmt aus Kummer einen Suizidversuch, wird aber gerettet. Er verfällt mehr und mehr dem Alkohol und stirbt ein Jahr später, im August 1894.
Ihre Erziehung zur Feministin
Als Eleanor 14 ist, schickt man sie auf eine Privatschule in der Nähe von London. Die „Allenswood Academy“ war als der richtige Ort für eine traditionelle Erziehung empfohlen worden. Tatsächlich aber wird die Schule seit einiger Zeit von der Französin Marie Souvestre geleitet, einer Feministin, die ihre Schülerinnen höchst unkonventionell erzieht. Madame Souvestre hält ihre Zöglinge dazu an, den eigenen Verstand zu gebrauchen, kritische Fragen zu stellen, nichts als gegeben hinzunehmen und letztlich immer mit dem Herzen zu entscheiden. Für Eleanor Roosevelt ist es wie eine Offenbarung. Zum ersten Mal in ihrem Leben hat sie das Gefühl, an einem Ort wirklich angekommen zu sein. Sie lernt viel über ihr eigenes, überaus kompliziertes Wesen und entwickelt einen offenen, vorurteilsfreien Blick auf ihre Umwelt – eine Eigenschaft, die ihr viele Jahr später als First Lady der Vereinigten Staaten alle Türen öffnen wird.
Eleanor Roosevelt: Hochzeit und Kinder
Im Jahr 1903 lernt sie bei einem Familienfest den zwei Jahre älteren entfernten Cousin Franklin Delano Roosevelt kennen, einen ehrgeizigen, jungen Anwalt, der in die Politik gehen will. Die beiden reden über Gott und die Welt, finden Gefallen aneinander, verlieben sich, zwei Jahre später heiraten sie. In rascher Folge – zwischen 1906 und 1916 – kommen sechs Kinder zur Welt: eine Tochter und fünf Söhne. Für die Erziehung der Kleinen hat Eleanor nichts übrig – „es lag nicht in meiner Natur“, bekennt sie später. Um dem Einfluss der kritischen und ewig nörgelnden Schwiegermutter zu entkommen, verbringt Eleanor viel Zeit in ihrem Cottage auf Campobello Island. Anfangs besucht ihr Mann sie dort regelmäßig, dann werden seine Besuche seltener. Franklin D. Roosevelt hat nun den Posten eines Unterstaatssekretärs in der Verwaltung der Navy inne und ist ein viel beschäftigter Mann. Zumindest will er seiner Frau diesen Eindruck vermitteln. Zu jener Zeit beginnt er ein Verhältnis mit seiner Sekretärin Lucy Mercer. Im Herbst 1918 findet Eleanor zufällig Briefe, die das Liebesverhältnis belegen: „Eine Welt brach für mich zusammen. Franklin hatte mir bis dahin alles bedeutet. Wirklich alles. Unsere Liebe, unsere gemeinsamen Werte, unser Bekenntnis zur Monogamie – all das hatte er verraten.“ Eleanor ist zutiefst enttäuscht und denkt in den folgenden Wochen nur noch an eines: Scheidung. Und doch – sie bleibt.
Sie wird die wichtigste Stütze ihres Mannes
Und dann schlägt das Schicksal erneut und mit großer Kraft zu. Bei einer Segeltour fällt Franklin ins Wasser, weil ihm die Knie plötzlich wegsacken. Der Vorfall wird zunächst belacht, ist aber keineswegs komisch, sondern der Vorbote einer schweren Erkrankung. Franklin, der bis zu diesem Tag die größten politischen Pläne hegt, ist mit Polio infiziert und wenige Wochen später von der Hüfte abwärts gelähmt. Bis zu seinem Lebensende wird er auf den Rollstuhl und auf die Hilfe seiner Frau angewiesen sein. In dieser Zeit tut Eleanor alles, um ihren Mann zu unterstützen und den Namen Roosevelt in der Öffentlichkeit präsent zu halten. Sie besucht zahllose Parteiversammlungen, hält Reden und Rundfunkansprachen. Louis Howe, der Berater ihres Mannes, ist stets an ihrer Seite. Von ihm lernt sie alles, was sie für den politischen Auftritt können und wissen muss. Als „Roosevelts Augen, Ohren und Beine“ reist sie in den kommenden Monaten durch die Welt. Voller Herzenswärme und Intuition, neugierig, wissbegierig und empathisch, macht sie sich schnell überall Freunde – wie sich zeigen wird, ist sie das Trumpf-Ass im Wahlkampf ihres Ehemannes.
Neue Rolle als First Lady
Am 8. November 1932 wird Franklin D. Roosevelt zum 32. Präsidenten in der Geschichte der Vereinigten Staaten gewählt. Kaum ist Familie Roosevelt ins Weiße Haus eingezogen, ändern sich dort die Gepflogenheiten. Und zwar nicht nur ein wenig, sondern grundlegend. Als Eleanor ihre erste Pressekonferenz gibt, ist die Medienwelt fassungslos. Denn: Zugelassen sind erstmals ausschließlich Journalistinnen – eine Ungeheuerlichkeit aus der Sicht der mächtigen Chefredakteure. Doch es bleibt auch in Zukunft dabei, dass nur Frauen Zutritt zu den Pressekonferenzen der First Lady haben – und die Redaktionen, die noch keine Mitarbeiterinnen haben, stellen schleunigst welche ein. Eleanor genießt es, am längeren Hebel zu sitzen und dafür zu sorgen, dass endlich auch Frauen in den Redaktionen eine Chance bekommen. In der zwölfjährigen Amtszeit Franklin D. Roosevelts steigt auch der Anteil von Frauen in wichtigen politischen Positionen enorm an – die junge First Lady gewinnt an Einfluss und zieht im Hintergrund die Fäden.
Im Weissen Haus erhebt sie ihre Stimme
Vielleicht kann man sagen, sie tut genau das, was ihre Lehrerin Madame Souvestre sie viele Jahre zuvor gelehrt hatte: Sie widersetzt sich, erhebt ihre Stimme, glaubt an die Möglichkeit der Veränderung – und lässt auch ihr Herz sprechen. Nie zuvor hat eine Präsidentengattin es gewagt, ihr Amt so zu nutzen. Eleanor arbeitet von morgens um 7 bis nachts um 2. Sie geht auf die Straße, spricht mit denen, die arm sind und ohne Hoffnung, hört sich ihren Kummer an. Sie besucht Slums, kämpft gegen die Diskriminierung der Schwarzen und setzt sich für bessere Sozialwohnungen ein. Sie fordert bessere Bildungschancen, eine allgemeine Krankenversicherung. Und das Volk liebt sie, so wie sie das Volk liebt. Wenn sie durch die Straßen geht, applaudiert man ihr. Dreimal schafft sie es auf das Cover von „Time“. Ihr Credo: Die Zukunft gehört uns allen.
Eleanor Roosevelt: Einsatz für Frieden und Menschenrechte
Wenige Wochen vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs stirbt Franklin D. Roosevelt an einer Hirnblutung. Die glanzvolle Zeit im Weißen Haus ist für Eleanor vorbei, doch der neue Präsident, Harry S. Truman, ist klug und macht sich ihre Bekanntheit zunutze: Er beruft die 62-Jährige unverhofft zur US-Delegierten für die Vereinten Nationen. Es hätte auf der ganzen Welt keine bessere Aufgabe für Eleanor geben können. Überzeugt von der Wichtigkeit des neu gegründeten Völkerbundes stürzt sie sich in die Arbeit. Als junge Frau hatte sie eine Regel für sich aufgestellt: „Mach jeden Tag eine Sache, die dir Angst macht.“ Auf diese Weise wollte sie sich selbst herausfordern und ihr Selbstvertrauen aufbauen.
Jetzt, 30 Jahre später, stellt sie sich der vielleicht größten und wichtigsten Aufgabe ihres Lebens. Sie will helfen, den Frieden in der Welt dauerhaft zu sichern. Als Vorsitzende der Menschenrechtskommission ist sie daran beteiligt, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte zu formulieren, die sie der Generalversammlung schließlich nach langem Ringen und großen diplomatischen Bemühungen mit folgenden Worten vorlegt: „Wir stehen heute an der Schwelle eines großen Ereignisses im Leben der Vereinten Nationen und im Leben der Menschheit. Diese Erklärung kann die internationale Magna Charta aller Menschen werden.“ Am 10. Dezember 1948 wird die Erklärung verabschiedet. Eleanor ist am Ziel ihrer Wünsche angekommen. Vielleicht ist es ihr zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst, aber sie hat sich selbst für alle Zeit ein Denkmal gesetzt.
Bis ins hohe Alter bleibt ihr sozialpolitisches Engagement unverändert. Sie setzt sich als Diplomatin für den Weltfrieden ein, für das junge Israel und gegen McCarthys Jagd auf „unamerikanische Umtriebe“. Ihr letztes politisches Amt ist der Vorsitz in John F. Kennedys Kommission zur Situation der Frauen in den Vereinigten Staaten. Am 7. November 1962 stirbt Eleanor Roosevelt im Alter von 78 Jahren.