Craniosacrale Therapie: „Das Gewebe spricht mit mir.“
„Ich arbeite mit dem Menschen, damit er ein offenes Herz erhält, einen klaren Kopf und einen befreiten Körper“ sagt Craniosacral-Therapeutin Sabine Sanders. Das einzige Werkzeug: ihre Hände. Mit ihnen spendet sie Kraft, Trost und Entspannung. Und manchmal können sie dem Körper verborgene Geheimnisse entlocken, wie sie uns im Interview erzählt.
Frau Sanders, wie läuft eine craniosacrale Therapie bei Ihnen ab?
Ich folge keinem starren Konzept. Oft halte ich zu Beginn nur die Füße, um den Patienten ankommen zu lassen, ihm das Gefühl zu vermitteln: Du bist hier sicher, ich bin da. Denn der Patient befindet sich im Archetypen des Verwundbaren – er ist sehr verletzlich. In meiner Arbeit spielen nicht nur Anatomie und Technik, sondern auch der spirituelle Teil eine wichtige Rolle. Wer sich auf meine Behandlungsliege legt, schenkt mir einen Vertrauensvorschuss – und dem begegne ich voller Achtsamkeit. Ich spüre hin und berühre ihn an seinem Traumkörper.
An Seinem Traumkörper?
Ja, den haben wir alle. Er umgibt uns wie ein Feld. Die Haut markiert die Grenzen unseres Körpers, aber da sind wir nicht zu Ende, wir sind viel, viel mehr. Das merken wir manchmal, wenn uns jemand zu nahe kommt, der uns unangenehm ist. Denn dann versuchen wir automatisch, Abstand zu gewinnen. Der andere hat die Grenzen unseres Traumkörpers überschritten. Manche nennen ihn auch Aura.
Und dann erspüren Sie den Cranio-Sacral-Puls?
Ja, erst einmal versuche ich festzustellen, ob der Fluss des Liquors optimal ist oder ob irgendwo etwas nicht fließt. Das ist aber längst nicht alles – in der Cranio-Arbeit geht es darum, das gesamte System zu erfassen. Ich nehme alles, was mir an Handwerkszeug zur Verfügung steht, zu Hilfe, um das bestmögliche Resultat für den anderen zu erreichen.
Kann jeder diesen Rhythmus erspüren?
Im Prinzip schon, aber es braucht – wie alles andere im Leben auch – Übung. Wenn ich mich bei der Behandlung ganz darauf konzentriere, blende ich alles andere aus, öffne mich und versuche, in einen anderen Bewusstseinszustand zu wechseln. Derjenige, der liegt, gerät oft ebenfalls in eine meditative Stimmung. Deswegen ist er so verwundbar.
Und wenn sich jemand nicht entspannt?
Dann bitte ich ihn, tief in sich hineinzuatmen. Hinzuspüren, ob die Berührungen etwas mit ihm machen und ob er es benennen kann. Wenn es sich richtig anfühlt, dann kann er mir davon erzählen – wenn nicht, behält er es für sich. Ich bekomme dann manchmal Bilder in den Kopf. Woher sie kommen, weiß ich nicht, sie sind einfach da.
Was sind das für Bilder?
Ganz unterschiedliche. Ich versuche, mich zu öffnen und alles, was kommt, in mich aufzunehmen und in meine Arbeit einfließen zu lassen. Einmal habe ich während einer Behandlung ein Klavier gesehen, es stellte sich heraus, dass die Patientin in ihrer Kindheit mit großer Freude Klavier gespielt hatte. Sie nahm sich vor, wieder damit anzufangen – es war ihr Weg zu innerer Balance. Ein anderes Mal war ein junger Mann mit Kiefergelenksproblemen bei mir. Ich habe an seinem Kopf mit der Behandlung begonnen, und plötzlich entstanden in mir Bilder, wie er Ski fährt. Tatsächlich hatte er vor vielen Jahren einen schweren Skiunfall, bei dem er auf den Hinterkopf gestürzt war. Seitdem hat er die Probleme mit dem Zähneknirschen. Solche Informationen sind für mich sehr wichtig. Ich weiß dann, wo der Blick meiner Hände hingehen soll.
Der Sturz hat also den cranio-sacralen Fluss nachhaltig gestört?
Ja, das nehme ich an, denn das Kiefergelenk ist sehr leicht zu irritieren. Auch zahnärztliche Eingriffe können Störungen des craniosacralen Systems zur Folge haben. In den USA arbeiten deshalb viele Kieferorthopäden und Zahnärzte mit Cranio-Therapeuten zusammen.
Und wenn keine Bilder auftauchen?
Dann ist es auch in Ordnung, ich habe keine Erwartungshaltung. Ich gebe die Verantwortung nach oben ab und lasse zu, was geschehen mag. Am Anfang habe ich gedacht, dass ich etwas falsch gemacht habe, wenn sich mir kein Bild zeigte. Aber heute weiß ich: Es passiert nur das, was auch passieren soll. Wenn ich mir da nicht ganz sicher wäre, könnte ich diese Arbeit nicht machen. „Du brauchst keine Angst zu haben“, sage ich vor der Behandlung zu meinen Patienten. „Es geschieht nur, was Du in dem Moment auch bewältigen kannst.“